«Umgeben von Musik»

Seit letztem September ist Valentin Gloor Direktor der Hochschule Luzern – Musik. Er hat selber einst an der zHdK studiert und in Graz promoviert. Im Interview spricht er unter anderem über den Einfluss von Bologna auf das Musikstudium sowie den bevorstehenden Umzug in den Neubau.

Valentin Gloor, Sie sind seit September im Amt. Was ist Ihnen an Ihrer neuen Wirkungsstätte bisher aufgefallen?

Valentin Gloor: Die grosse Motivation aller Mitarbeitenden. Das hat für mich eine hohe Qualität und ist sehr inspirierend. Hinsichtlich des bevorstehenden Umzugs in unser neues Gebäude im Herbst haben zudem alle im Moment einen klaren Fokus, auch hier ist die Vorfreude zu spüren.

Worauf freuen Sie sich persönlich besonders beim Neubau?

Persönlich freue ich mich am meisten darauf, von Musik umgeben zu sein. Am heutigen Standort der Administration ist das kaum der Fall. Ich finde es wichtig, dass wir alle, auch die Administration, in ein künstlerisches Umfeld eintauchen können. Toll ist es natürlich, dass unsere vier bisherigen Standorte nun an einen Ort zusammenziehen und Menschen aus allen Institutionen und Bereichen in einen intensiveren Austausch kommen. So wächst auch das gegenseitige Verständnis und man kann bessere Lösungen erarbeiten.

Weg vom Gärtchendenken?

Auf jeden Fall. Mehr Kontakt, mehr Austausch, Inspiration. Das ist ein Gewinn.

Auf der anderen Seite verliert die Hochschule den wunderschönen bisherigen Standort Klassik auf Dreilinden mit der Parkanlage, historischen Gebäuden und der herrlichen Aussicht.

Natürlich. Das ist ein Jammer! Aber man kann nicht das eine haben, ohne das andere aufzugeben. Der Standort Dreilinden ist fantastisch, aber auch stark geprägt durch eine Epoche. Genauso stark ist auch der neue Ort geprägt, der, gleich neben dem Kulturzentrum Südpol liegend, auch in der städtischen Entwicklung eine wichtige Rolle spielt. Er ist in der heutigen Zeit verortet. Und nicht zuletzt erhalten wir eine hochstehende neue Infrastruktur, wie wir sie so bisher nicht hatten.

Zu Ihrer Arbeit: Wie viel davon ist Politik, wie stark können Sie sich auf interne Aufgaben konzentrieren?

Natürlich gibt es einen Anteil Politik. Der Grossteil der politischen Arbeit wird jedoch auf Stufe Rektorat geleistet. Ich bewege mich politisch mehr auf der Projekt- oder Branchenebene. Daneben bleibt auch durchaus Raum für interne Arbeit wie etwa Führung und Inhaltliches. Dies ist die Herausforderung: eine gute Balance zu finden zwischen strukturellen und inhaltlichen Aufgaben. Manchmal ist es schon ein Spagat, wenn es um die Ressourcenverteilung geht.

Stichwort Führungsarbeit: Sie sind Vorgesetzter von Künstlerpersönlichkeiten verschiedenster Richtungen. Erfordert das besonderes Fingerspitzengefühl?

Ich habe natürlich keine Vergleichserfahrung aus der Industrie oder Wirtschaft, glaube aber schon, dass es ein spezielles Umfeld ist. Die Erfahrung zeigt, dass Mitarbeitende hier einen sehr hohen Autonomieanspruch haben. Das kann herausfordernd sein in der Führung, ist aber auch ein Innovationstreiber und bringt gestalterischen Anspruch mit. Ich sehe das positiv. Mir persönlich kommt es sehr entgegen, weil ein guter partizipativer Prozess inhaltlich zu besseren Resultaten führt.

Wie stark haben sich die Musikhochschulen mit der Bologna-Reform verändert?

Erst einmal möchte ich festhalten, dass die Bologna-Reform oft herhalten muss für gesellschafts- und finanzpolitische Phänomene, die nicht viel mit ihr zu tun haben. Doch zu Ihrer Frage: Mit der strukturellen Bologna-Reform ist die Freiheit eines Musikstudiums eingeschränkt worden, Bologna hat sie kanalisiert und portioniert. Enttäuschend ist, dass die angestrebte Durchlässigkeit, auch international, bis heute nicht erreicht wurde. Das betrifft aber alle Fachbereiche. Positiv in Bezug auf das Musikstudium ist, dass man es geschafft hat, mit dem Master zu differenzieren und den Spezialisierungen in Pädagogik und Performance gerecht zu werden. Mit einem dreijährigen Bachelor hätte man die berufsbefähigende Reife nicht hinbekommen. So gesehen hat Bologna für die Musik auch Gutes. Der fünfjährige Master bis zur Berufsqualifizierung trägt dem anspruchsvollen Markt Rechnung.

Wie werden die Absolventinnen und Absolventen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet, der kaum alle Musiker aufnehmen kann?

Worauf stützen Sie diese Aussage?

Darauf, dass sich für eine Stelle an einer Musikschule nicht selten 50 oder mehr Musiker bewerben. Bei Orchestern ist es noch viel extremer.

Das Phänomen, dass sich jemand 80- oder 100-mal bewerben muss, um eine Stelle zu erhalten, kann vielleicht vorkommen, so wie das auch in anderen Berufen der Fall sein kann. Die BFS-Statistik zeigt aber auch, dass die Erwerbsquote bei den Absolventen von Musikhochschulen allgemein sehr hoch ist.

Die hohe Erwerbsquote täuscht aber nicht darüber hinweg, dass es kein leichter Arbeitsmarkt ist. Wie bereiten Sie die Studierenden darauf vor?

Wir bereiten sie auf sogenannte Portfolio-Karrieren vor: Die Musikerinnen und Musiker sind in der Regel in mehreren Tätigkeitsfeldern aktiv, etwa als Lehrpersonen, in einem Ensemble, als Ensembleleiterin, Zuzüger in Orchester, sie arrangieren Musik und so weiter. Die Bandbreite ist gross. Unsere Aufgabe ist es, diese Bandbreite mit den Studierenden zu entwickeln und ihr Profil richtig zu unterstützen, sodass sie einen Schwerpunkt setzen können. Die Vorstellung, sich als Musikerin oder Musiker aus einer einzigen Tätigkeit zu finanzieren, entspricht nicht mehr ganz unserer Zeit. Interessanterweise werden hier Arbeits- und Lebensweisen erprobt, wie wir sie wohl mehr und mehr auch in anderen Bereichen kennenlernen werden – aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung und der Digitalisierung.

Ein Musikstudent kostet aufgrund des Einzelunterrichts etwa doppelt so viel wie ein Wirtschaftsstudent. Sehen Sie dies auch als besondere Verpflichtung zu Qualität in der Ausbildung?

Eine hoch provokative Frage – nicht nur für mich, sondern auch für die Wirtschaftshochschulen. Denn sie impliziert, dass die Qualität im Musikstudium doppelt so hoch sei oder sein müsste wie in der Wirtschaft. Es sind ja strukturelle Gründe, die zum Kostenunterschied führen, genauso wie auch ein Medizinstudium teurer ist als ein Jusstudium. Der Qualitätsanspruch, den wir zu erfüllen haben, ist absolut. Er ist gegeben durch den Leistungsauftrag und variiert nicht in Abhängigkeit von den Standardkosten. Natürlich sind wir demnach gefordert, eine hohe Qualität zu erbringen. Doch wir sind nicht doppelt so stark gefordert wie Wirtschaftsfachhochschulen. Das würde auch deren Qualitätsanspruch nicht gerecht.

Welche Kompetenzen, nebst Talent, sind heute gefragt, wenn man die Ausbildung in Musik macht?

Natürlich gibt es ganz fachspezifische Kompetenzen. Aber wer eine Karriere als Musikerin oder Musiker anstrebt, muss auch die Kernkompetenzen Selbstorganisation und Selbstregulierung mitbringen. Man muss fokussiert bleiben auf die Weiterentwicklung, also auch eine hohe Lernkompetenz vorweisen. Auch Kritikfähigkeit ist eminent wichtig. Sie sehen: Dies sind alles Fähigkeiten, die auch in anderen Bereichen vital sind. Wir hängen bei der Musik gesellschaftlich noch immer dem Bild vom Genie nach. Vom Weltstar. Alles muss potenziert sein. Natürlich haben wir Musikhochschulen auch den Anspruch der Exzellenz, wollen auch Spitzenmusikerinnen ausbilden. Aber alle Fachbereiche wollen Exzellenz. Wofür wir aber doch stehen, ist die Ausbildung von hoch kompetenten Berufsleuten.

Was war Ihr ursprünglicher Berufswunsch?

Mein Wunsch war es, Sänger und Musiker zu werden. Ich würde behaupten, dass das auch in Erfüllung gegangen ist. Eine Zeit lang war es meine Haupttätigkeit und bis heute ist es in meinem Leben präsent. Ich singe immer noch ab und zu ein Konzert.

Sie haben sich bald der Forschung zugewandt, promoviert und Führungsaufgaben übernommen.

Es hat sich ein neues Feld eröffnet, das mich sehr fasziniert hat. Für mich liefen Forschung und Kunst immer zusammen. Die Management-Aufgaben, die ich wahrgenommen habe, sind jedoch ein separater Strang, der keinen unmittelbaren künstlerischen Bezug hat. Und irgendwann muss man sich dann eben entscheiden, weil der Tag zu kurz ist, als dass man alles machen könnte.

In der Schweiz existiert keine Möglichkeit für ein Doktorat in der Musik. Ein Schwachpunkt?

Die Frage ist: Warum verhindern wir den Aufbau eines dritten Zyklus und somit auch die Entwicklung des eigenen Mittelbaus, der künftigen Mitarbeitenden und Dozierenden an unseren Hochschulen? Niemand wünscht Braindrain, doch in Bezug auf die Musik verursacht die Politik genau diesen Braindrain, solange die Promotion an Schweizer Musikhochschulen nicht ermöglicht wird. Die Leute gehen ins Ausland. Wir haben als Musikhochschulen ja kein Uni-Pendant, wo FH-Abgänger doktorieren könnten.

Haben Sie zeitlich neben Ihrer neuen Aufgabe und dem Gesang noch Zeit für mehr?

Im Moment ist meine Freizeit schon etwas eingeschränkt. Mir ist es wichtig, so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie zu verbringen. Das ist nicht ganz leicht, weil wir noch in Winterthur leben. Wir werden aber nächstes Jahr in die Zentralschweiz ziehen, um uns in dieser Region neu zu verwurzeln.

Dieses Interview erschien als Erstpublikation im Magazin INLINE Februar 2020

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