Wenn Führung zum Dialog wird: Einblick in einen Trend

Immer mehr Unternehmen schreiben Führungspositionen als Co-Leitungsstelle aus, doch ist die geteilte Verantwortung wirklich das Führungsmodell der Zukunft? Im Interview beleuchtet Ronald Ivancic, Kursleiter des CAS Führen in Zeiten des Wandels die verschiedenen Aspekte von Co-Leadership und zeigt auf, wovon dessen Erfolg abhängig ist. Ein Blick hinter die Kulissen eines Führungsmodells, das genauso viel verlangt, wie es verspricht.


Autorin: Lena Graf

 

Schweizer Unternehmen beschäftigen sich zunehmend mit dem Trend des Co-Leaderships. Ist eine einzelne Führung heute nicht mehr zeitgemäss?

Das kann so generell nicht gesagt werden. Es gibt sehr viele neue Konzepte, die sicherlich zeitgemäss sind, aber viele Unternehmen noch nicht reif genug, um diese umzusetzen. Ähnlich ist es bei Co-Leadership. Es hängt stark vom Unternehmen ab, ob eine Co-Leitung sinnvoll oder überhaupt machbar ist. Es ist richtig, dass sich immer mehr Unternehmen in der Schweiz damit beschäftigen. Aber sich damit beschäftigen und den Führungsstil zu implementieren, sind zwei Paar Schuhe. In der Schweizer Wirtschaft gibt es vorwiegend KMUs und dort haben wir meist familiäre, traditionellere Verhältnisse. Oftmals auch patriarchalisch geprägt. In diesen Unternehmen ist man sich einen solchen Führungsstil nicht gewohnt und es gestaltet sich schwieriger, diesen zu implementieren.

Woraus entstand dieser Trend der geteilten Führung?

Das hängt mit vielen Entwicklungen zusammen. Es beginnt damit, dass wir flachere Hierarchien haben, damit, dass immer mehr Zusammenarbeit und Teamarbeit gefordert wird und Mitarbeitende ihre Aufgaben nicht mehr nur umsetzen, sondern mitsprechen wollen. Viele Branchen wurden in den letzten Jahren immer wissensintensiver. Durch dieses Wissensintensive herrscht gerade bei uns hier in Europa immer mehr ein Zustand, in dem der Austausch wichtiger wird. Auch haben wir bei den jüngeren Generationen zunehmend Menschen, die im Beruf nach Selbstverwirklichung suchen. Mitarbeitende wollen immer weniger nur nach klaren Vorgaben arbeiten, sondern wünschen sich einen gesetzten Rahmen, innerhalb dessen sie Verantwortung übernehmen und sich selbst entfalten können. Und damit geht natürlich einher, dass das traditionelle «Befehl und Gehorsam» zusehends etwas anderem weicht, was mehr in Richtung Austausch geht, mehr in Richtung Co-Kreation.

Welche Vorteile bringt dieser Führungsstil einem Unternehmen?  

Co-Leadership bringt einige Vorteile mit sich. Wenn sich zwei oder mehrere Personen die Aufgabe teilen, gibt es einen grösseren Wissensaustausch, Entscheidungen, die aus mehreren Perspektiven getroffen werden, mehr Kreativität und durch mehr Kommunikation und Diskussion auch eine höhere Lösungsorientiertheit. Natürlich bringt dieser Führungsstil auch organisatorische Vorteile. Beide Parteien sind immer in allem miteingebunden. Wenn jemand abwesend ist, kann nahtlos übernommen werden und das Tagesgeschäft wie gewohnt weiterlaufen.

Neben all den Vorteilen müssen sich Unternehmen jedoch bewusst sein, dass dieser Führungsstil auch seinen Preis hat. Er fordert einen höheren Ressourceneinsatz und viel Diskussion. Auch ist noch lange nicht gesagt, dass jedes Unternehmen, welches Co-Leadership einführt, gute Erfahrungen damit sammelt. Es gibt gewisse Erfolgsvoraussetzungen wie die Unternehmenskultur, die eine solche Führung zulassen müssen. Starke Hierarchien oder Rollenstrukturen, können es sehr schwer machen, diese aufzubrechen. Auch ist diese Art der Führung nicht für jeden Persönlichkeitstypen etwas, nicht jede oder jeder möchte so arbeiten.

Neben all den Vorteilen müssen sich Unternehmen bewusst sein, dass dieser Führungsstil auch seinen Preis hat. Er fordert einen höheren Ressourceneinsatz und viel Diskussion.

Dr. Ronald Ivancic, Mag. mult


Kursleiter des CAS Führen in Zeiten des Wandels an der OST – Ostschweizer Fachhochschule


Für welche Unternehmen ist dieser Führungsstil denn besonders geeignet?

Wie bereits angesprochen, kann es in Unternehmen mit stark hierarchischen Strukturen schwieriger sein, einen solchen Führungsstil einzuführen. Auch kommt es sehr auf den Reifegrad eines Unternehmens an. In der Wachstums- oder auch der Reifephase kann ich mir die Einführung einer geteilten Führung sehr gut vorstellen. In einer Krise oder in Phasen des Umbruchs dafür weniger. In solchen Zeiten braucht es meist klare und schnelle Entscheide und es bleibt weniger Zeit, alles zu kommunizieren und gemeinsam Beschlüsse auszuarbeiten.

Gibt es ein sogenanntes Best-Practice-Beispiel aus der Wirtschaft?

Netflix hat beispielsweise bereits seit Jahren in einer stabilen Konstellation Co-CEOs. Durch diese Stabilität kann man davon ausgehen, dass es gut funktioniert. Im Gegensatz dazu hat das Tech-Unternehmen Salesforce seit Jahren ein Co-CEO-Tandem, das eine sehr hohe Fluktuation aufweist. Dort funktioniert dieser Führungsstil wahrscheinlich weniger gut. Doch um von einem Best-Practice reden zu können, wäre ein Blick hinter die Kulissen eines Unternehmens notwendig, um sich selbst vom Erfolg zu überzeugen. Denn die wenigsten Unternehmen würden hinstehen und von sich aus zugeben, dass sie Co-Leadership ausprobiert haben, jedoch überhaupt kein Erfolg hatten.

Wie kann Co-Leadership gelingen?

Um gemeinsam eine Position zu bekleiden, braucht es ein gewisses Mindestmass an Sympathie und Vertrauen, menschlich sollte es schon stimmen. Denn ohne dieses Grundvertrauen wird es schwierig. Auch ist es wichtig, dass man Zeit investiert, um die Abläufe und Prozeduren klar festzulegen. So kann im Fall der Fälle, wenn die Führungspersonen sich bei etwas nicht einig werden, auf das Festgehaltene zurückgegriffen und so entstandene Konflikte oder Patt-Situationen gelöst werden. Es kann auch von grossem Nutzen sein, zu Beginn die Hilfe einer externen Beratung in Anspruch zu nehmen.

Ist eine klare Rollenverteilung zwischen den Führungskräften besser, als wenn alles gemeinsam entschieden wird?

Es kommt ganz darauf an. Im Sinne des Trends wäre es, dass man alles gemeinsam macht und entscheidet. Jedoch muss jedes Unternehmen und jede Führung für sich selbst festlegen, was am besten funktioniert. Aus der Praxis gibt es Beispiele für beide Aufteilungen. In den meisten Fällen arbeiten jedoch beide Führungskräfte in einem 100 % Pensum und haben klar ihre Verantwortungsgebiete, Überschneidungen gibt es da wenige. Die SBB bietet hier eine Ausnahme. In ihrer Personalabteilung teilen sich zwei Frauen die Führung, beide arbeiten in einem 60 % Pensum und verantworten beide Bereiche gemeinsam.  

Wenn ich in einem Unternehmen eine Co-Leitung einführen würde, würde ich gewisse Routinearbeiten separieren und die Verantwortung dort klar aufteilen. Sobald jedoch das Alltägliche überschritten wird, etwa bei Neuerungen oder Umstellungen, dann sind beide Führungskräfte involviert und Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. In den meisten Fällen bestehen gar nicht die Ressourcen, alles zu diskutieren. Deshalb könnte eine solche Aufteilung sinnvoll sein.

Was würden Sie jemandem raten, der eine Position übernimmt und neu im Führungstandem arbeitet?

Zuallererst würde ich mir überlegen, ob ich das überhaupt will, und wenn ja, mit dieser Person. Denn letztlich muss man vieles gemeinsam diskutieren und einen Konsens finden, dessen muss man sich bewusst sein. Und anschliessend sind eine klare Rollendefinierung und Festlegung von Regeln unerlässlich, um gemeinsam im Alltag möglichst konfliktfrei und effizient agieren zu können.

CAS Führen in Zeiten des Wandels

Durch Transformationsprozesse, gesellschaftlichen Wandel und technologische Veränderungen wächst die Komplexität und Dynamik in Organisationen. Der CAS Führen in Zeiten des Wandels bieten den Kursteilnehmenden fundiertes Wissen und praxisnahe Lösungen, um Veränderungen in ihrer Organisation erfolgreich zu gestalten und zu begleiten. Das Integrieren von Digitalisierung, komplexer Strukturen und künstlicher Intelligenz spielen in dieser Weiterbildung ebenfalls eine zentrale Rolle.

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