Es machte «klick»

Es begann in seinem Zimmer und führte über einen alten Schweinestall. Seit 15 Jahren ist er Besitzer des grössten Tonstudios der Schweiz. Der FH-Musiker Thomas Gabriel folgte stets seiner Leidenschaft.

Hoch über dem Sarnersee liegt das idyllische Obwaldner Dörfchen Stalden. Etwas ausserhalb liegt am Waldrand ein unscheinbares Gewerbegebäude. Nur ein unauffälliges Schild weist auf das hin, was hinter den gelben Türen kaum jemand vermutet, nämlich das grösste Tonstudio der Schweiz. Mit breitem, spitzbübischem Lächeln öffnet Thomas Gabriel die Tür und lädt in sein Reich ein. Es beginnt mit der Lounge, dem Pausenbereich. Unzählige CDs an der Wand zeigen, wer hier schon aufgenommen hat: Das reicht von DJ Ötzi über Stefan Eicher, Gölä, diverse Bläserformationen, Jodler bis hin zu Klassikstars wie dem Trompeter Reinhold Friedrich oder dem Pianisten Konstantin Lifschitz.
Gabriel ist eigentlich Musiker, hat aber seine zweite Leidenschaft zum Beruf gemacht. Schon das Studium an der Hochschule Luzern – Musik verlief nicht nach Schema X. Er startete als klassischer Pianist, «als Nebenfach belegte ich fakultativ die Posaune, da ich beim Militär ins Spiel kommen wollte, um nicht bei der Infanterie zu landen». Er machte so grosse Fortschritte, dass er schliesslich das Hauptfachinstrument wechselte und das Lehrdiplom auf der Posaune abschloss. Zusätzlich machte er das Diplom in Blasmusikdirektion.
Von der Lounge führt ein ungeheizter Gang zum Herzstück, dem Studio mit Regie, Mischpult und der riesigen Aufnahmefläche von 170 Quadratmetern. Inklusive der fünf Nebenräume (Booths) sind es gar 244 Quadratmeter. Solche Verhältnisse bietet kein anderes Studio in der Schweiz.

Vom Zimmer in den Schweinestall

Musik hat Thomas Gabriel von früh auf begleitet. Bereits während der Schulzeit komponierte und arrangierte er Musik, begann bald auch mit Aufnahmen. In seinem Zimmer sammelten sich immer mehr Geräte. Mit etwa 20 war er einmal mit einer Guuggenmusig bei Aufnahmen, «da fand ich mich am Mischpult wieder, wie ich die Musik gleich selber abmischte. Es machte ‹klick› und ich wusste, dass ich das machen will.» Bald war auch sein Zimmer zu klein. Und so richtete er sein erstes Amateurtonstudio ein: Dazu diente ein alter Schweinestall seines Onkels in Buochs NW.  «Dort nahm ich vor allem Bands auf, meist Kollegen.»
Eine eigentliche Ausbildung machte er nicht. «Ich besuchte Kurse, vor allem in Deutschland, und lese bis heute viel zum Thema.» Natürlich kommt ihm sein Musikergehör zugute. Doch in technischen Belangen ist er bis heute hauptsächlich Autodidakt.
Sieben Jahre reichte der Schweinestall, dann musste etwas Richtiges her. Aufgrund seiner Erfahrung wusste Gabriel, dass in der Schweiz ein grosses Studio fehlte und Orchester oder Big Bands für Aufnahmen nach Deutschland reisen mussten. Zudem hatte er ein gutes Beziehungsnetz unter Blasorchestern, auch dank seines Musikstudiums. Die grösste Hürde war es, eine Bank zu überzeugen. «Wenn man zu einer Bank geht und sagt: ‹Ich möchte zwei Millionen für ein Tonstudio›, dann wird man normalerweise ausgelacht.» Er schaffte es, nicht ausgelacht zu werden, und er erhielt die benötigten zwei Millionen. Mittlerweile hat er in sein Studio gar eine weitere Million investiert. Alleine die Mikrofone haben einen Gesamtwert von rund 250000 Franken. Das Studio verfügt zudem über zwei Konzertflügel zu je rund 200000 Franken. Für die Akustik konnte er ebenfalls auf sein Beziehungsnetz zurückgreifen und den heute bekannten Raumakustiker Martin Lachmann engagieren. In der Schweiz zählen Säle und Gebäude der zHdK, des Jazzcampus Basel oder der FHNW Muttenz zu seinen Referenzen. Um Kosten zu sparen, baute Gabriel mit seinem Vater die vom Akustiker berechneten Holzelemente zum grossen Teil selber.

Das Mischpult – ein Glücksfall

Herzstück ist natürlich das Mischpult der Marke Cadac. Es ist auch sein grosser Stolz.  Es ist ein Einzelstück, nur eines von sieben dieser Art weltweit.  «Wie ich dazu gekommen bin, war ein Glücksfall.» Der Techniker, der in seinem Studio die Verkabelung machte, hat das Mischpult eigentlich für sich selber gebraucht gekauft. «Er hat es komplett revidiert, fand dann aber gar keine Zeit, es zu benutzen.» Schliesslich konnte Gabriel es ihm in Topzustand für 200000 Franken abkaufen. Ein Schnäppchen, neu wäre es das Sechsfache. «Mit anderen Mischpulten muss ich nach der Aufnahme noch lange am Sound rumarbeiten. Hier drehe ich den Fader hoch und es klingt!» Ein normales Mischpult sei ein Werkzeug, seines ein Instrument. Und während er davon erzählt, leuchten seine Augen vor Freude.
Mittlerweile ist Gabriel Recordingdas wohl vielseitigste Tonstudio der Schweiz, mit Kunden aus allen Musikstilen. Dazu zählt auch eine bereits zehnjährige Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Musik.  Gefragt nach einem besonderen Erlebnis im Studio, erinnert sich Gabriel an das Aaron Goldberg Trio aus New York. «Sie kamen am Morgen an, nach einem Auftritt am Vorabend mit anschliessender Party. Sie waren todmüde und legten sich hier einfach auf den Boden.» Noch beim Soundcheck glaubte Gabriel nicht wirklich an ernstzunehmende Arbeit. «Dann zählten sie ein: one, two, three, four – und waren auf einen Schlag voll da. Wahnsinn.» Kaum war ein Take im Kasten, lagen sie wieder am Boden. Es folgte der nächste Take, wieder voller Fokus und Topleistung. «Das war sehr eindrücklich.» Da ist wieder das spitzbübische Lächeln.

Dieser Artikel erscheint als Print-Erstpublikation im INLINE vom Februar 2020.

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