Die «unbewusste Inkompetenz»

Nach der Familienzeit stieg sie wieder ein und ist heute als Coach und Organisationsentwicklerin tätig. Carmen Zanella hatte stets einen Plan und diesen dank FH-Weiterbildung umgesetzt. Ihr Steckenpferd: interkulturelle Verständigung.

Carmen Zanella spricht leise und schnell. Man muss gut aufpassen, um ihr zu folgen. Sie weiss, was sie sagen möchte, und wie. Ohne rechthaberisch zu sein.

Die 54-jährige Unternehmerin hat sich diesen Nachmittag zum Arbeiten in einen Coworking Space in einem alten Webereigebäude aus dem 19. Jahrhundert zurück­gezogen. Hier im bernischen Kirchberg, einen Steinwurf von ihrem Wohnhaus entfernt, findet sie die ideale Arbeitsumgebung. Heute ist sie gar alleine in den sanft und stilvoll renovierten Räumen.

Frühe Karriere

Bereits früh erlebte Carmen Zanella einen steilen beruflichen Aufstieg: Mit 27 Jahren war sie HR-Leiterin bei der Ascom, nur ein Jahr später hielt sie die globale HR-Verantwortung für einen ganzen Geschäftsbereich. Mit 29 wurde sie Mutter und nahm in der Folge eine dreijährige Auszeit für ihre beiden Töchter. 1997 folgte der berufliche Wiedereinstieg. «Dabei hatte ich bald das Bedürfnis, etwas zu tun, was ich wirklich wollte», erklärt sie.

Und hier deuteten alle Signale auf das Thema interkulturelle Verständigung. «Ich habe so oft erlebt, wie es in Unternehmen Konflikte zwischen verschiedenen Niederlassungen gab, die man kaum je auf interkulturelle Unterschiede zurückführte.» Dabei meinten Führungskräfte oft, über interkulturelle Kompetenzen zu verfügen, oder aber sie würden diese nicht als wichtig erachten. Oft werde erst reagiert, wenn die Situation bereits eskaliert sei. Sie kann mehrere Beispiele aufzählen, etwa im Zusammenhang mit der völlig unterschiedlichen Konfliktkultur bei Europäern und Asiaten.

Ihr entscheidendes Rüstzeug hat sich Carmen Zanella mit dem MAS Leadership & Change Management an der FHNW erworben. Thema der Masterarbeit: Interkulturelle Kompetenzen bei Führungskräften. «Hier herrscht oft eine unbewusste Inkompetenz, die über den Bereich ‹gute Menschenkenntnis› hinaus geht», korrigiert sie die gängige Denkweise. Man merke manchmal nur sehr subtil, dass jemand kulturell anders ticke, oft erst in Stresssituationen. «Um wirklich auf ein kompetentes Level zu gelangen, braucht es die Selbsterfahrung, um eigene kulturelle Prägungen zu erkennen und eine multikulturelle Perspektive einnehmen zu können.»  Das Wissen, das sie für ihre Masterarbeit vor sieben Jahren zusammentrug, bildet bis heute die Grundlage für ihre tägliche Arbeit auf diesem Gebiet. Ein Gebiet, das auch durch die Globalisierung immer wichtiger wird, so ihre Erfahrung.

Engagement in Sozialunternehmen

Deshalb engagiert sie sich auch im Sozialunternehmen Bookbridge, welches zusammen mit der ZHAW Angewandte Psychologie das CAS International Leader & Entrepreneur anbietet. Studierende gründen in einer sechsmonatigen Lernreise ihr eigenes Startup in einem Wachstumsmarkt. Ziel ist es, die Berufs- und Lebenschancen einer ganzen Gemeinde zu verbessern und ein sich selbst tragendes Sozialunternehmen aufzubauen. Dabei werden die eigenen Unternehmerfähigkeiten verbessert innerhalb eines interkulturellen Umfelds. Denn, so betont Zanella nochmals: «In der Theorie kann man das nicht lernen, das ist Erfahrungswissen, nicht Kopfwissen. Es braucht den Aha-Effekt.»

Für sie ist das Vermitteln deshalb mehr Berufung als Beruf. «Wenn man sieht, wie die Menschen ihre Unternehmen nicht nur während der Weiterbildung betreuen, sondern auch weit darüber hinaus, dann berührt das einen. Dieses CAS verändert das Mindset nachhaltig.»

Dieses Mindset hat sie auch ihren Töchtern mitgegeben. Beide haben schon etliche Jahre im Ausland verbracht und sind gemäss ihrer Mutter ebenfalls mit dem interkulturellen Virus infiziert. Zuerst hätten auch sie Barrieren überwinden müssen. «Heute aber lebt meine ältere Tochter im Rahmen ihres Studiums an der FH Genf ein Jahr in China und liebt es», sagt sie nicht ohne Stolz.

ÜBER CARMEN ZANELLA

Ihre Ausbildung begann die gebürtige Walliserin Carmen Zanella (54) mit dem eidgenössischen Handelsdiplom. Nach dem Berufseinstieg bei der UBS Zermatt absolvierte sie das Diplom zur HR-Fachfrau und startete ihre Karriere im Personalbereich. Nach der Familienpause folgten weitere Engagements im HR-Management, begleitet vom MAS in Leadership & Change Management. Heute führt sie ihre eigene Firma Zanella Development GmbH im Bereich Leadership und Organisationsentwicklung.

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