Bildungsreformen seit Ende der 90er Jahre und ihre Auswirkungen auf die Soziale Arbeit

Regine Strub
sozialinfo.ch
  • 09.10.2018
  • 5 min
Ende der neunziger Jahre entstehen in der Schweiz die ersten Fachhochschulen für Soziale Arbeit. Wir werfen einen Blick zurück und fragen nach den Veränderungen, welche die Reformen gebracht haben.

Ein wichtiger Treiber der Reformen im Bildungsbereich war der Vertrag von Bologna. Laut Johannes Schleicher, Direktor des Departements Soziale Arbeit der Berner Fachhochschule ist er «geprägt von einer grosszügigen, weltoffenen bildungspolitischen Grundhaltung». An den Fachhochschulen für Soziale Arbeit führte die Umsetzung der Bologna-Reform zumindest anfänglich jedoch zu Unsicherheiten. Schleicher berichtet, dass er damals an der Hochschule für Sozialarbeit in Solothurn unterrichtet habe. Als Neuling im Bildungsbereich erlebte er, wie schwer es den Dozierenden fiel, die Inhalte, die ihnen wichtig waren, in Module von vorgefertigtem Format zu pressen, wie «Bologna» dies verlangte. «Wir kämpften, auch gegeneinander, um alles, was uns wichtig war und entfernten uns von der Grundidee, einem kosmopolitischen Bildungsverständnis.»

Was die Qualität der Studieninhalte betrifft, wurden mit der Reform zwar Instrumente für die Gewährleistung der Vergleichbarkeit geschaffen, aber die Praxis der gegenseitigen Anerkennung sei aus verschiedenen Gründen oft recht kleinkrämerisch geblieben, meint Schleicher rückblickend. Und die Mobilität, welche die Unterzeichner im Kern gemeint hätten – sie drohe zuweilen in Bürokratie und Legitimationsaufwand zu ersticken.

Trotz Kritik an der zum Teil kleinkrämerischen Umsetzung sieht Schleicher die positiven Effekte, welche die Bologna-Reform für die Fachhochschulentwicklung hatte. «Für mich hat die Soziale Arbeit klar ihren Platz an einer Fachhochschule», so Schleicher. Dies deshalb, weil der Bezug zu einer praktischen Tätigkeit hoch sei, unabhängig davon, ob man Soziale Arbeit als Wissenschaft, als Disziplin oder als Profession betrachte. Und unabhängig davon, ob nicht auch andere Disziplinen wie Recht oder Medizin wegen ihres hohen Praxisbezuges an einer Fachhochschule denkbar wären. Bologna habe einen Ruck ausgelöst, der diese Positionierung beschleunigt und gefestigt habe.

Als weitere wichtige Errungenschaft von Bologna erachtet Schleicher, dass sie einen festen Platz in der Bildungssystematik bekommen habe, und dass sie international anschlussfähig geworden sei, dank der gegenseitigen Diplomanerkennung. Zudem habe sie sich das Niveau Master erschlossen. Das alles sei für die Entwicklung der Disziplin, auf der die Anerkennung ihrer Professionalität beruhe, unerlässlich.

Theorielastigkeit der Ausbildung

Von verschiedener Seite wird hin und wieder beklagt, dass die Ausbildung durch das Anheben auf Fachochschulniveau zu stark theorielastig geworden sei und die Absolventinnen und Absolventen zu wenig auf die Praxis vorbereitet würden. Doch Agnès Fritze, Direktorin der Hochschule für Soziale Arbeit Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) relativiert. «Dass über 1000 Praxisorganisationen ein grosses Interesse daran zeigen, Praktikanten und Praktikantinnen unserer Hochschule auszubilden und die Berufseinstiegsquote unserer Absolventinnen und Absolventen sehr hoch ist, werte ich als Zeichen für eine nachgefragte Ausbildung.» Und: Die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW verfüge über einen Praxis-Beirat, den sie regelmässig konsultiert, um Bedarfe der Praxis abzuholen.

Die Herausforderung sieht Fritze eher in der kurzen Dauer der Bachelor-Ausbildung, die aus Sicht der Fachhochschulen eng bemessen ist. Um Soziale Arbeit professionell leisten zu können, brauche es vielschichtige Kompetenzen, ist Fritze überzeugt. Neben fachlichem Wissen, Fach- und Methodenkompetenzen, fokussieren die Fachhochschulen für Soziale Arbeit auf Sozial- und Selbstkompetenzen, die für jede Studienstufe, also Bachelor und Master, in einem Kompetenzprofil zusammengefasst sind; dazu gehört auch die Entwicklung einer professionellen Haltung. All diese Komponenten bilden in der beruflichen Tätigkeit in ihrer Gesamtheit schliesslich die Professionskompetenz: Wissenschaftliche Theorien, Forschungserkenntnisse und Forschungsmethoden seien dabei ein wichtiger Bestandteil des fachlichen Wissens. «Sozialarbeitende müssen in der Lage sein, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Studien umzugehen, sie sollen aber auch – spätestens nach Abschluss des Masterstudiums – selber Analysen erarbeiten und Konzepte entwickeln können», so Fritze. Für die Bachelor-Ausbildung stehen jedoch nur drei Jahre zur Verfügung, wobei im Vollzeitstudium zwei Semester für die Absolvierung der Praktika weggehen. Weil die Bachelor-Studierenden generalistisch ausgebildet werden, müssen sich Studienabgängerinnen und -abgänger in das jeweilige Berufsfeld erst noch einarbeiten.

Forschung – heute eine Selbstverständlichkeit

Obwohl sich Fachhochschulen an die Universitäten angenähert haben, bestehen ganz klare Unterschiede. So haben die Fachhochschulen einen vierfachen Leistungsauftrag. Dieser umfasst die Bereiche Lehre (Studium), Weiterbildung, `Forschung und Entwicklung` sowie Dienstleistungen. Die Forschung soll praxisbezogen und anwendungsorientiert zu sein, während sich die Universitäten auf Grundlagenforschung konzentrieren.

«Heute ist die Forschung in der Sozialen Arbeit nicht mehr wegzudenken», erklärt Daniel Gredig, Co-Leiter des Masterstudiengangs an der FHNW. Die Forschung weise eine breite Palette auf. Das Spektrum reiche von Projekten der anwendungsorientierten Grundlagenforschung, welche der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) zum Teil finanziell unterstützt, bis hin zu Projekten, die Elemente von Organisationsentwicklung enthalten. Im Selbstverständnis der Hochschulen handelt es sich dabei durchwegs um anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung.

Noch nicht abschliessend gelöst ist die Frage des Doktorats im Fach Soziale Arbeit. Die Fachhochschulen haben kein Recht, entsprechende Programme anzubieten und den Doktortitel zu verleihen. Einige bieten in Kooperation mit ausländischen Hochschulen jedoch ein Doktoratsprogramm an. Zudem sind Bestrebungen in Gang, dies dereinst in Kooperation mit einer schweizerischen Hochschule zu ermöglichen. Eine definitive Lösung ist zurzeit noch aus.

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