Das Business-Potenzial direkt vor der Alphütte

  • 26.10.2025
  • 10 min
Adrian Hirt wuchs in einem Bergdorf auf und kehrte für seine Geschäftsidee zu seinen Wurzeln zurück. Heute arbeitet er für sein Unternehmen Alpahirt mit 80 Bergbauern zusammen. Alle Seiten profitieren. Die Geschichte zeigt: Möglichkeiten liegen auch dort, wo man sie vielleicht nicht vermutet.


Ein handgefertigtes Holzschneidebrett, darauf ein knorriger Salsiz, angeschnitten und bereit zum Verzehr. Ein Naturprodukt, ganz ohne Zusatzstoffe. Von lokalen Bauern, lokal produziert. Fleischgenuss ohne schlechtes Gewissen, oder nur minimal – je nach Einstellung. Die Website von Alpahirt liest sich wie ein modernes Heidi-Bilderbuch. Eigentlich zu schön, um wahr zu sein. «Ich habe selber schon zu hören gekriegt, dass sie sehr schön komponiert sei», erzählt Adrian Hirt lachend. Er ist die zentrale Figur hinter Alpahirt. Die Geschichte seiner Firma ist zu guten Teilen auch seine eigene. Inklusive Drama. Und alles ist echt.

Vom Bergdorf ins Kantonslabor

Es beginnt im bilderbuchhaften Dorf Tschiertschen an der Plessur, 1400 Meter über Meer, heute Teil der Gemeinde Chur. Adrian Hirts Eltern arbeiten beide, der Junge verbringt viel Zeit beim Grossvater, dem «Neni». Der Neni wird sich auch als roter Faden durch das Interview ziehen, aus dem dieser Text entstanden ist. Dieser ist für Adrian bis zu dessen Tod eine wichtige Bezugsperson. Der gelernte Kunstschlosser ist naturverbunden, nimmt seinen Enkel mit auf die Jagd, bringt ihm den Respekt vor Wild wie auch Nutztieren bei, die im Bergdorf seit eh und je eine zentrale Bedeutung haben.

Adrians beruflicher Weg beginnt mit einer Lehre als Chemielaborant. «Ich war kein besonders guter Schüler», sagt er freimütig. Eher zufällig wählt er den Beruf aus – weil sein Kollege dies auch macht. Dabei kommt er beim kantonalen Amt für Lebensmittelkontrolle und Umweltschutz unter. Eine nicht unerhebliche Weichenstellung für die Zukunft. Seine nächste Station ist, wenig überraschend, die Pharmaindustrie. «Dort wurde mir klar, was ich nicht machen möchte», sagt er heute dazu nur trocken.

Adrian Hirt vor seinem Alpenkeller, im Hintergrund das Bild seines Urneni, der als Vorlage für das Logo diente. (Bild: Simon Kneuenbühl)
Adrian Hirt vor seinem Alpenkeller, im Hintergrund das Bild seines Urneni, der als Vorlage für das Logo diente. (Bild: Simon Kneuenbühl)

«Pökelsalz ist Gift»

Er orientiert sich neu und erfährt vom Studium in Lebensmitteltechnologie an der ZHAW in Wädenswil. Seinen Bezug zu Lebensmitteln haben seine Mutter als Köchin und sein Neni früh geprägt. «Mein Neni zelebrierte sie richtiggehend.» Im Herbst, als die Kühe von der Weide herunterkamen, kaufte dieser jeweils einen Stotzen, also einen Oberschenkel einer Kuh, beinte diesen auf dem Küchentisch aus, salzte ihn im Keller ein und liess ihn im Dachstock lufttrocknen. Dabei wurde nur natürliches Salz verwendet, keine Zusatzstoffe. «Pökelsalz ist Gift!», pflegte der Neni zu sagen.


Was der Neni damit meinte, lernt Adrian im Studium, wo er die Arbeit der konventionellen Lebensmittelindustrie studiert. Er hinterfragt, was er sieht. Pökelsalz enthält Nitrit, um das Fleisch haltbar zu machen, «vor allem aber, um die rote Farbe zu erhalten», erklärt Adrian. «Ohne Nitrit verfärbt es sich durch die Oxidation natürlicherweise braun, was völlig normal und unbedenklich ist.» Für die Konservierung reiche normales Salz völlig aus. Adrian sieht sich nicht in der herkömmlichen Lebensmittelindustrie, will nicht «in dieses Hamsterrad geraten».

Dennoch muss er sich das Wissen aneignen, um einen eigenen Weg gehen zu können. Er absolviert ein Praktikum in einer Metzgerei. Durch einen Kontakt vermittelt, reist er darauf nach Jamaica, wo er mehrere Monate in der Metzgerei Arosa arbeitet. Geführt wird diese von einem Appenzeller, der Tiere aus Südamerika einführt und für Fast-Food-Ketten und Hotels auf der Insel verarbeitet. Nächste Station ist eine traditionelle Rinderfarm in Kanada. Zurück in der Schweiz, tritt er in den Dienst eines grossen Fleischverarbeiters im Kanton St. Gallen. Gleichzeitig treibt er seine eigene Idee voran.

Nötiges Know-how von der FH

2013 ist es schliesslich so weit und er gründet seine Firma. Als Startkapital erhält er 100 000 Franken zinsloses Darlehen vom Neni. Sein eigenes Geld hat er in die Ausbildung investiert. Denn kurz zuvor hat er das das Masterstudium in New Business an der FH Graubünden begonnen, «um für die Unternehmensführung das nötige Wissen zu erwerben».

Für seine Produkte hat er den Markt analysiert, darunter den hohen Anteil an biologisch gehaltenen Mutterkühen in der Surselva. 2013 sieht er auch, wie ein grosser Teil der Tiere auf den langen Weg ins Unterland geschickt wird, weil es lokal keine Abnehmer gibt. Dort landen sie in grossen Schlachtbetrieben zur konventionellen Weiterverarbeitung. «Nach 15, 16 Jahren, in denen die Bauern eine Beziehung zu ihren Tieren entwickelt haben, blieb ihnen kaum eine Alternative, als ihre Kühe eines morgens zusammen mit den Kälbern in einen Transporter zu verfrachten», so Adrian. Wohl sei einem Bauer dabei nicht. Adrian erkennt das Potenzial für seine Idee.

Beim Neni im Keller darf er auch das Lager und den ersten Laden eröffnen. Für das Logo dient wiederum die markante Erscheinung des Urneni. Den bärtigen Bergler entdeckt Adrian auf einem alten Dia. Dass der Nachname «Hirt» beim Eintrag der Einzelfirma in den Firmennamen eingearbeitet werden muss, passt ebenfalls gut. AlpenHirt (später zum heutigen Namen geändert) ist geboren. Authentizität muss er nicht erfinden. Hauptprodukte sind nach eigener Rezeptur hergestellte Trockenfleischerzeugnisse. Doch nicht nur. Adrian veranstaltet Events mit Kuh melken und Kräuterwanderungen, dazu kommt ein weiteres Standbein mit Lebensmittelhanfprodukten.

Der Brand – die Schicksalsfrage – der Neustart

Doch es gibt keine Startup-Geschichte, die ohne Rückschläge auskommt. Eines Tages 2019 steht das Haus in Tschiertschen, in dem er mittlerweile seinen Laden, seine Wohnung und auch Büroräume hat, in Flammen. Der Laden brennt komplett aus, auch die anderen Räume werden in Mitleidenschaft gezogen. Ein Schlag, der ihm fast das moralische und geschäftliche Genick bricht.

«Ich stand vor den Brandruinen und mir wurde klar, dass ich entweder aufgebe oder dies als Chance nehme, damit noch etwas Besseres entsteht.» Er denkt an die Worte seines Neni: «Er sagte immer: Nichts ist so schlimm, dass nicht auch etwas Gutes darin liegt.» Er besinnt sich und merkt: So eifrig er in den ersten Jahren am Werk war, so sehr hatte er sich auch verzettelt. «Das breite Angebot hatte mich auch sehr viel Energie gekostet.» Sein neues Motto lautet nun «Fokus»: nicht mehr sieben Tage lang elf Stunden arbeiten. Kein Gemischtwarenladen mehr. Fertig mit Events, Kräuterwanderungen und Hanf. «Wir sind nur noch Kuh- und Fleischspezialisten», sagte er sich.

Seither hat sich der Umsatz auf 1,5 Millionen Franken verdoppelt. 80 Bauern sind heute Partner von Alpahirt, fast alle aus der Surselva, die meisten arbeiten nach Bio-Standards. Zu allen pflegt Adrian den direkten Kontakt. Hergestellt werden die Produkte im Auftrag und nach der Rezeptur von Alpahirt von einem regionalen Metzgereibetrieb. 120 Kühe werden jährlich verarbeitet, dazu insgesamt rund 100 Schafe, Geissen und Alpschweine sowie ein paar Hirsche. Die Produktpalette wächst, aber nicht mehr explosiv.

Grosse Pläne in der Churer Altstadt

Den grössten Teil macht Alpahirt im B-to-B-Verkauf. Globus zählt schon seit acht Jahren zu den Kunden, auch Manor und Volg sind länger dabei, Bio-Metzgereien und viele kleinere Läden. Wer einmal bei ihm bestellt, bleibt in der Regel auch dauerhaft Kunde. Nebst dem Direktverkauf via Onlineshop ist Alpahirt mit einem Stand auch an mehreren Wochenmärkten präsent.

Der Fokus ist geschärft: «Wir machen Fleisch aus Gras.» Dieses stammt restlos vom jeweiligen Bauernbetrieb selber. Ein Bekenntnis auch zur Kreislaufwirtschaft. Kraftfutter, wie in der Fleischzucht, ist kein Thema. Oder anders gesagt: «Feed-no-Food.» Das ist nicht nur ökologischer, sondern auch gesünder. So enthält das Fleisch von grasgefütterten Tieren beispielsweise deutlich mehr gesunde Omega-3-Fettsäuren.

Im vergangenen Juni hat Alpahirt nun Büros mit einem kleinen Shop in der Churer Altstadt bezogen. Der nächste Meilenstein folgt im kommenden Herbst. Dann eröffnet in kurzer Gehdistanz ein Bistro mit 25 bis 30 Plätzen, dazu ein grösserer Shop. Und zwar nicht irgendwo, sondern im altehrwürdigen «Haus zur Metzg», das Teil der historischen Stadtmauer ist. Derzeit wird es in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz restauriert.

Dieses Mal ist Adrian Hirt sicher, sich nicht mehr zu verzetteln. Der Fokus bleibt auch im Bistro klar, mit eigenen Alpprodukten, einigen Getränken, Wein, Kaffee, vielleicht noch Nusstorte oder einem Capuns. «Wir werden kein Gemischtwarenladen sein.»

So würde es garantiert auch dem Neni gefallen.



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