
Als Reiseleiter für Hotelplan entdeckte Roman Probst seine Leidenschaft für Kommunikation. Also studierte er an der Fachhochschule in Winterthur Unternehmenskommunikation und Journalismus. Noch während seines Studiums gründete er sein Übersetzungsbüro, das innert zwölf Jahren zur drittgrössten Übersetzungsfirma der Schweiz aufstieg. 2016 verkaufte er sie an den französischen Marktführer.
Seit zwei Jahren ist Roman Probst nun Geschäftsführer der Stiftung Procom (siehe Box). Sie setzt sich ein für die barrierefreie Kommunikation gehörloser und schwerhöriger Menschen – ein Thema, zu dem Probst einen ganz persönlichen Bezug hat. Im Gespräch erzählt er, welchen Satz er nicht mehr hören mag. Und wie Social Media und KI die Kommunikation für Gehörlose verändern.
Aus einer erfolgreichen Berufskarriere heraus haben Sie sich entschieden, sich in einer Non-Profit-Organisation für gehörlose Menschen zu engagieren. Was gab den Anstoss?
Roman Probst: Dieses Engagement ist für mich eine Herzensangelegenheit – und zugleich eine Rückkehr zu meinen Wurzeln. Ich bin als hörendes Kind gehörloser Eltern aufgewachsen und habe mich von klein auf in zwei Kulturen bewegt: der hörenden und der gehörlosen Welt. So lernte ich früh, zwischen diesen Welten zu vermitteln – sprachlich, kulturell und emotional. Diese Erfahrung hat meinen Blick auf Kommunikation tief geprägt. Den Anstoss zur jetzigen Tätigkeit aber gab ein Telefon.
Erzählen Sie.
Nach dem Verkauf meiner Firma war ich als Dozent und Startup-Coach tätig. Eines Tages kam der Anruf: Ein heutiger Arbeitskollege fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, die Geschäftsführung der Stiftung Procom zu übernehmen. Natürlich konnte ich. Ich spürte sofort, dass dies meine nächste Mission ist. Gleichzeitig hatte ich grossen Respekt: Die Verantwortung ist hoch, das Umfeld komplex.
Ihr neues Angebot mit einem Inklusiv-Abo via App setzt auf einen speziellen Ansatz: Nicht die gehörlosen Menschen, sondern die hörende Seite soll sich auch um eine Verdolmetschung bemühen, beispielsweise Gemeinden oder Firmen. Tun sie das zu wenig?
Leider ja. «Dass Sie gehörlos sind, ist ja nicht mein Problem.» Diese Haltung begleitet mich schon mein ganzes Leben. Und das sage ich als grundsätzlich positiv denkender Mensch. Gehörlosigkeit ist keine Wahl. Genauso wenig wie ein plötzlicher Hörverlust. Trotzdem wird die Verantwortung für barrierefreie Kommunikation oft einseitig den Betroffenen zugeschoben – statt sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen.
So wie ein Gebäude heute für Menschen mit einer Gehbehinderung zugänglich sein soll, gilt auch für die Kommunikation: gehörlose oder schwerhörige Menschen haben ein Recht darauf, verstanden zu werden. Genau hier setzt unser Inklusiv-Abo an. Es richtet sich an Unternehmen, Gemeinden oder Institutionen, die ihre Verantwortung wahrnehmen und barrierefreie Kommunikation aktiv ermöglichen wollen – und nicht darauf warten, dass die betroffene Person alles organisiert.
Sind öffentliche Stellen nicht bereits heute dazu verpflichtet?
Doch! Öffentliche Dienstleister – also etwa Spitäler, Polizeiposten oder Gerichte – sind gesetzlich verpflichtet, Dolmetschleistungen in Gebärdensprache bei Bedarf bereitzustellen. Doch das ist vielen gar nicht bewusst – oder sie blenden es aus. Mit dem Inklusiv-Abo machen wir dieses Recht greifbar und einfach umsetzbar. Wer das Abo hat, erhält ein Signet und zeigt damit: Hier ist Inklusion mehr als ein Schlagwort.
Wie funktioniert das Abo?
Zentrales Element ist unsere App myProcom. Sie ermöglicht Telefonate zwischen gehörlosen und hörenden Menschen – über Video- oder Textvermittlung. Auch Notrufe per Text sind möglich. Und bei Gesprächen vor Ort kann per App ein:e Online-Dolmetscher:in über Zoom oder Teams dazugeholt werden.
Hilft es, dass Sie markt- und dienstleistungsorientiert an dieses Thema herangehen?
Unbedingt. Inklusion gelingt nicht allein durch gute Absichten – sie braucht praxistaugliche Lösungen. Unser Ansatz ist deshalb bewusst markt- und dienstleistungsorientiert: Wir bieten ein konkretes, einfach nutzbares Angebot für Firmen, Gemeinden und Organisationen, die barrierefreie Kommunikation ermöglichen wollen. Wer inklusiv kommuniziert, zeigt Respekt, Weitsicht und unternehmerisches Verantwortungsbewusstsein.
Das Studium ist nach wie vor eine grosse Hürde, in Vorlesungen benötigen Gehörlose Simultandolmetscher. Wie sieht es aktuell aus?
Es geht im Studium ja nicht nur darum, Inhalte zu verstehen. Guter Unterricht lebt vom Austausch: Fragen stellen, diskutieren, in Gruppen arbeiten. Das ist für gehörlose Studierende oft besonders schwierig. Deshalb braucht es die Dolmetscherin vor Ort. Es braucht ein Umfeld, das mitdenkt – Dozierende, die wissen, wie sie inklusiv unterrichten können, und Hochschulen, die bereit sind, Barrieren aktiv abzubauen.
Setzt sich Procom fĂĽr Studierende bei den Hochschulen ein?
Ja, wir setzen uns aktiv dafür ein, dass auch im Hochschulbereich Barrierefreiheit gelebt wird. Unser Ziel ist klar: Gehörlose Menschen sollen die gleichen Chancen auf Aus- und Weiterbildung haben wie alle anderen – denn Bildung ist ein Schlüssel zu Selbstbestimmung, beruflichem Erfolg und gesellschaftlicher Teilhabe. Aktuell sind wir im Gespräch mit dem Dachverband FH SCHWEIZ und weiteren Ausbildungsorganisationen.
Wie hat sich die Kommunikation für gehörlose Menschen in den letzten Jahren und den neuen technischen Möglichkeiten entwickelt?
Sie hat sich stark verändert – und zwar zum Positiven. Dank Social Media können sich gehörlose Menschen heute viel sichtbarer vernetzen, ihre Themen öffentlich machen und in Echtzeit mit der Welt kommunizieren – in Gebärdensprache, Text oder Video. Auch KI bringt spannende neue Möglichkeiten. Automatische Untertitel werden immer besser – auch wenn sie noch nicht perfekt sind. Sprachassistenten oder Übersetzungs-Tools können in Zukunft helfen, Barrieren weiter abzubauen.
Aber: Technik allein löst das Problem nicht. Es braucht immer noch Menschen, die mitdenken, und Strukturen, die Inklusion ernst nehmen. Nur so werden die neuen Möglichkeiten wirklich zugänglich – für alle.
Die Stiftung Procom ist eine gemeinnützige Non-Profit-Organisation (NPO) mit Sitz in Olten. Sie setzt sich die barrierefreie Kommunikation für gehörlose Menschen sowie Inklusion ein und beschäftigt rund 170 Mitarbeitende. Die Kommunikations- und Vermittlungsdienstleistungen werden über ein schweizweites Netzwerk von über hundert Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetschern geleistet. Sie dolmetschen von Gebärdensprache in Lautsprache als auch umgekehrt. Und zwar vor Ort, per Telefon, online oder am Fernsehen. Zu den Dienstleistungen gehört auch die 24-Stunden Text-Vermittlung, auch für Notfälle.
Viele der Aktivitäten sind nicht durch die öffentliche Hand gedeckt, darunter beispielsweise Dolmetscheinsätze beim Arzt. Um diese Einsätze selber finanzieren zu können, setzt Procom auf Unterstützung von Privaten, Unternehmen und Stiftungen. Auch führt die Organisation Events durch, um Spenden zu generieren, dieses Jahr etwa das Sponsorenschwimmen in Olten.
Im Monatsrhythmus erscheinen Beiträge auf der Newsplattform watson, die aus unserer fhnews-Redaktion (betrieben von FH SCHWEIZ) stammen. Darin geht es um Trends in der praktischen Aus- und Weiterbildung, sowie Arbeit und Karriere – jeweils anhand von Persönlichkeiten mit FH-Bezug. Du findest die Beiträge im Blog «Top Job» auf watson. Ergänzend dazu gibt es hier Tipps und Wissen zu diesen Themen.