Lernphase – ach, wie bist du so schön

Angela Cantieni
  • 09.01.2020
  • 4 min
Das Semester neigt sich langsam dem Ende zu. Zeit für den Endspurt. Seitenlange Arbeiten werden mit letzter Kraft fertiggeschrieben und die Prüfungen rücken in unmittelbare Nähe. Somit ist auch bald wieder Zeit für die Lernphase – a.k.a. die Zeit, in der man versucht alles aufzuarbeiten, was man unter dem Semester nicht geschafft hat. Also all die Sachen, «für die man ja eh noch in der Lernphase genügend Zeit hat». Bald wird einem bewusst, dass, auch wenn man etwas aufschiebt, man es dann doch irgendwann tun muss. Und mehr Spass macht es dann doch auch später nicht.

Die Lernphase ist die Zeit, in der man getrost einfach mal asozial sein darf. In dieser Zeit verkriecht man sich einfach mal in seinem Zimmer oder der Bibliothek. Der einzige Menschenkontakt findet spärlich mit anderen koffeingefüllten und verzweifelten Studierenden statt. Jogginghosen werden zum Dresscode. Haarewaschen zum Luxus.

Das schlechte Gewissen im Nacken 

Es ist die Zeit, in der man alles mit einem leicht schlechten Gewissen macht. Wie ein nerviger, kleiner Chihuahua, der einem überall hin nachrennt, sitzt einem dieses schlechte Gewissen im Nacken. Egal was man tut, es ist eine Gratwanderung zwischen «ich-muss-lernen» und «nur-noch-eine-Folge». Meistens wird’s dann doch die neuste Folge irgendeiner Serie, welche man aber eh nur zur Hälfte mitbekommt, weil man die ganze Zeit daran denkt, dass man eigentlich lernen sollte.

Und setzt man sich dann doch an den Tisch um zu lernen, merkt man erst, wie spannend ein Radiergummi sein kann. Ausserdem geht lernen doch erst richtig, wenn alle Bleistifte gespitzt, das Zimmer aufgeräumt und der Schrank entrümpelt ist. Und wenn man gerade dabei ist, werden alte Kleider aussortiert, das Zimmer umgestellt und am besten noch die Fenster geputzt. Nie ist man so produktiv wie in der Lernphase, solange es das Lernen nicht betrifft. Prokrastination ist auch ein Talent.

Belohnung an erster Stelle 

Egal wie klein die Leistung, sie wird belohnt! Fünf Minuten gelernt? Dafür gönnt man sich eine halbe Stunde Pause. Man kocht sich einen Tee oder holt sich den gefühlt hundertsten Kaffee.

Wenn man dann doch mal am Lernen ist, vorwärtskommt und alles perfekt erscheint, dann gibt es diese eine Person. Jeder hat sie, keiner will sie: der Briefträger, der klingelt, die Mutter, die nach einem ruft, oder der Mitbewohner, der sich irgendetwas leihen will. Sie alle haben eines gemeinsam. Ob mutwillig oder nicht, durch sie gerät die perfekte «Lernidylle» ins Schwanken.

Der Tag der Wahrheit

Nach einigen Wochen ungeduschter Verzweiflung und vorsätzlichem Aufschieben sind sie dann endlich da: Die Prüfungen. Jetzt kann man zeigen, worauf man im letzten halben Jahr mehr oder weniger hingearbeitet hat. Bestehend aus Kaffee, Energiedrinks, Erschöpfung und einer Menge Adrenalin, tanzen die Studierenden an. Einige blättern nervös in ihren endlos langen Zusammenfassungen, die dicker aussehen, als der gesamte Stoff. Andere sind bereits daran, die dritte Dose Prix Garantie Energiedrink hinunterzustürzen (denn es sind ja Studenten), während es anderen langsam bewusst wird, dass es keine gute Idee war, erst zwei Tage vor der Prüfung den gesamten Stoff repetieren zu wollen.

Und sind die Prüfungen dann vorbei, will man nur noch raus und das schöne Wetter geniessen, welches man bisher nur durch Fenster betrachten konnte. Dann steht man da. Ohne Schirm im kalten Regen. Man nimmt sich vor, das nächste Mal «also wirklich mehr unter dem Semester zu lernen». Und während man das nicht mehr ganz so tolle Wetter trotzdem geniesst, weil man sich das auch fest vorgenommen hat, ist man eigentlich einfach nur noch froh, dass die Prüfungen geschafft sind.

 

Kommentare