«Es ist spannend, an der Schnittstelle zu arbeiten»

Als neue Präsidentin der Kammer FH von swissuniversities will Luciana Vaccaro eine einigende Rolle einnehmen. Durch ihre italienische Herkunft und ihre Mehrsprachigkeit kennt sie sich bestens mit kulturellen und sprachlichen Grenzen aus. Ein Interview über Hochschulpolitik, Mobilität und den Röstigraben.

Für die Fachhochschulen und ihre Absolventinnen und Absolventen ist es ein wichtiger Wechsel. Seit diesem August präsidiert Luciana Vaccaro die Kammer Fachhochschule bei swissuniversities, der Rektorenkonferenz der Schweizerischen Hochschulen. Die Rektorin der Westschweizer HES-SO folgt damit auf Crispino Bergamaschi (FHNW). Im Interview spricht sie über ihre Ziele für das Amt, über ihr Verhältnis zum Röstigraben und allgemein über Sprachgrenzen, die sie mit diesem Amt überwinden kann.

 

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Amt. Möchten Sie diese Funktion nutzen, um der Westschweiz in der Hochschulwelt mehr Gewicht zu verleihen?

Luciana Vaccaro: In dieser Funktion möchte ich die Präsidentin aller FH sein und sämtliche Erwartungen dieser Institutionen vertreten. Wir haben vor allem viele gemeinsame Ziele. Ich sehe meine Funktion als einigende Rolle. Meine grösste Herausforderung besteht darin, Rektorin einer Institution zu sein und mir nun gleichzeitig in einer anderen Funktion sozusagen von oben einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Aber dieser Spagat ist nichts Neues für mich, ich kenne ihn von meinen Funktionen beim SNF her. Ich habe übrigens auch keinerlei Komplexe, weil ich eine italienischsprachige Westschweizerin bin. Ich fühle mich vollumfänglich ins System integriert und ich glaube, dass sich die Westschweizerinnen und Westschweizer ebenfalls als gleichwertig anerkannt fühlen.

 

Sehen Sie sich in Ihrer neuen Funktion bei swissuniversities auch als Bindeglied zwischen den Sprachregionen?

Klar müssen die Sprachregionen miteinander vernetzt werden. Aber auch die Fachhochschulen müssen sich untereinander vernetzen: Einige Institutionen sind gross, andere kleiner, einige haben sich auf die exakten Wissenschaften spezialisiert, während andere im Bereich Kunst tätig sind. Ich muss dieser ganzen Vielfalt Rechnung tragen, die ein wichtiger Teil meiner Arbeit und vor allem auch ein kulturelles Erbe der Schweiz ist. Ich als Italienerin lerne dabei viel.

 

Nennen Sie uns doch etwa drei konkrete Ziele, die Sie als Präsidentin der Kammer Fachhochschulen bei swissuniversities erreichen wollen.

Ich will zuerst einmal die Arbeit meines Vorgängers Crispino Bergamaschi mit der gleichen Überzeugung weiterführen. Mein grösster Wunsch ist es, das Erarbeitete zu festigen und neue Ziele zu erreichen. Wenn ich mich auf drei Ziele beschränken soll, würde ich die Verteidigung der Positionierung der FH in Bezug auf die universitären Hochschulen und die Hochschulen nennen. Denn die FH befinden sich häufig im Sandwich dazwischen. Ein weiteres Ziel betrifft den Ausbau der Finanzierung der FH-Forschung. Und letztlich möchte ich die Reflexion zu den Promotionen an den FH weiterführen, die in Zusammenarbeit mit den Universitäten und unseren Partnern durchgeführt werden.

 

Sie stammen aus Neapel und sind mehrsprachig. Ist es Ihnen leichtgefallen, Sprachen zu lernen?

In Neapel dominiert eine einzige Sprache. Gleichzeitig ist Neapel aber einer der grössten Häfen Europas, und diese Multikulturalität ist Teil meines «Backgrounds». Meine Dreisprachigkeit verdanke ich dem visionären Geist meines Vaters, der darauf bestand, dass ich ab dem Alter von 10 Jahren Intensivkurse in Englisch besuchte. Französisch habe ich durch Immersion gelernt, als ich mich in meinen Zwanzigern in der Westschweiz niederliess. Es ist eine lateinische Sprache, in der ich viele Anhaltspunkte fand. Es war für mich daher eher leicht, sie zu erlernen. Deutsch ist aber eine ganz andere Geschichte! Ich habe mich entschlossen, Deutsch zu lernen, als ich zur Rektorin der HES-SO ernannt wurde.

 

Inwiefern sind kulturelle Unterschiede Ihrer Meinung nach sprachlich bedingt?

Gerne antworte ich mit einer Gegenfrage: Wie war das mit der Geschichte mit dem Huhn und dem Ei? Denn Sprache und Kultur sind zwei Paar Schuhe. Den Westschweizern ist das bewusst, da sie die Sprache, aber nicht die Kultur mit Frankreich teilen.

Manchmal überraschen mich die Umschreibungen im Deutschen, um seine eigene Unzufriedenheit zu äussern. Als Person italienischer Muttersprache drücke ich mich ziemlich direkt aus. Aber vielleicht ist das auch Charaktersache? All diese Fragen verschmelzen irgendwie.

 

Die HES-SO ist die grösste Fachhochschule der Schweiz. Haben Sie den Eindruck, dass das in der Deutschschweiz nicht genügend bekannt ist?

Zum Teil schon, denn die HES-SO ist in der Deutschschweiz nicht hinreichend bekannt. Mit ihren kantonalen Direktionen ist unsere Institution ziemlich dezentral organisiert. Allerdings habe ich mich stark dafür eingesetzt, damit die Menschen verstehen, dass wir eine gemeinsame Linie verfolgen.

 

Wie erleben Sie den Dialog zwischen den Schweizer Fachhochschulen im Allgemeinen – und im Besonderen unter den Departementen und Hochschul-Typen?

Ich bin schon seit mehreren Jahren mit der Diversität innerhalb der HES-SO konfrontiert. Es ist sehr spannend, an der Schnittstelle dieser Kulturen und Fächer zu arbeiten. Wir verfügen über Hochschulen in äusserst vielfältigen Bereichen. Wie bereits gesagt, sie sind unterschiedlich gross: In einigen Regionen wie dem Wallis oder dem Jurabogen gibt es kleine Schulen und in Genf oder in der Waadt sind die Institutionen grösser. Indem ich mit dieser Vielfalt spielen kann, habe ich die lokalen Realitäten und die besonderen Verbindungen zu den Regionen besser verstehen gelernt.

 

Als Deutschschweizer stellt man manchmal eine gewisse Emanzipation der Westschweiz von der Deutschschweiz fest. Gelten die Deutschschweizer in der Westschweiz als arrogant? Wie nehmen Sie das wahr?

Meiner Meinung nach sind die Westschweizerinnen und Westschweizer ziemlich selbstbewusst. Ich stelle fest, dass sich die Westschweiz als separates Universum wahrnimmt, das sehr helvetisch ist, aber keinesfalls ausgegrenzt wird. Aber das ist natürlich mein persönlicher Eindruck.

Ich habe hingegen in der Deutschschweiz eine Tendenz festgestellt, dass man sich nur auf sich selbst bezieht. Das ist keine Frage der Arroganz, sondern der Mehrheit, die nicht immer das Bedürfnis verspürt, sich Minderheiten anzupassen. Vor einigen Jahren habe ich während eines Staatsbesuchs in Vietnam eine Rede gehalten. Obwohl wir schon acht Tage gemeinsam unterwegs waren, hat mir der Chef eines Deutschschweizer Grossunternehmens anschliessend gratuliert: Er hatte festgestellt, dass wir an der HES-SO viele Kompetenzen vereinen. Als Minderheit schauen wir eher, was in der Deutschschweiz passiert, als umgekehrt.

 

In Bezug auf die regionsübergreifende Mobilität der Studierenden: Bei den universitären Hochschulen sind viele Deutschschweizer beispielsweise an der EPFL oder an der Universität Genf immatrikuliert und Westschweizer Studierende an deutschsprachigen Universitäten. Wie sieht es bei den Studierenden der HES-SO aus? Müsste die Zahl der Studierenden aus der Deutschschweiz und aus dem Tessin auch im Hinblick auf einen kulturellen Austausch nicht grösser sein?

Man muss verstehen, dass wir es mit einer unterschiedlichen Studierendenpopulation zu tun haben, je nachdem ob wir uns an den Fachhochschulen oder an den universitären Hochschulen befinden. Unsere Studierenden stammen im Allgemeinen aus wirtschaftlich eher bescheideneren Kreisen, weshalb die Nähe von Wohnort der Familie und Studienort entscheidend ist. Daher würden unsere Studierenden stark von einem Ausbau des Mobilitätsangebots profitieren. Wenn ich sehe, wie schwer es mir fällt, mit 44 Jahren Deutsch zu lernen, denke ich, dass es klar einen Vorteil darstellt, wenn man zwei Semester in einer anderen Sprache absolvieren kann, wenn man jung ist. Ich denke da an eine Art schweizerisches Erasmus-Programm. Eine gezielte Politik in diesem Bereich käme unseren jungen Menschen zugute.

 

Die Statistiken zeigen, dass die Mehrheit des Personals und die grosse Mehrheit der Dozentinnen und Dozenten an den Fachhochschulen nicht aus dem FH-Umfeld stammen, sondern eine universitäre Ausbildung haben. Wenn mehr Mitarbeitende, auch in Führungspositionen, aus dem FH-Umfeld kämen, würde das auch das praxisorientierte Profil der FH stärken. Welchen Wunsch haben Sie in diesem Zusammenhang?

Diese Frage betrifft den für uns so wichtigen Nachwuchs. Wir bemühen uns seit zehn Jahren stark, um auf Stufe FH den akademischen und den beruflichen Nachwuchs zu fördern. Wir brauchen Professor:innen und Forscher:innen, die neben der Forschung auch die Lehre übernehmen können. Bei uns läuft der Zugang zum Doktorat über die Universitäten, mit denen wir Zusammenarbeitsprogramme aufbauen, um Dissertationen zu fördern, die für eine praxisorientierte FH-Forschung spezifisch sind. Unsere Studierenden müssen künftig vermehrt Zugang zu solchen Dissertationen erhalten. Diese Arbeiten müssten von der Arbeitswelt auch anerkannt werden – was unerlässlich ist für unsere künftigen Professor:innen, bevor sie wieder zu uns zurückkehren.

 

Wie können die FH als Arbeitgeber für Personen mit FH-Diplom noch attraktiver werden?

Für mich, die selbst lange in der Lehre und in der universitären Forschung tätig war, ist klar, dass es in diesem Bereich eine Berufung braucht. Es ist toll, einen Beruf auszuüben, der uns motiviert und stolz macht. Die Marke FH muss sich als stolze Marke etablieren. Wir müssen uns auch besser verkaufen. Unser Praxisbezug ist etwas sehr Wertvolles. Das müssen wir mehr in den Fokus rücken!

 

Das Interview wurde schriftlich auf Französisch geführt und auf Deutsch übersetzt. Es erschien als Erstpublikation im Magazin INLINE, Ausgabe August 2021, sowohl auf Französisch wie auch Deutsch.

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