Bauen für Biodiversität - Ja, bitte. Aber wie?

Edmée Perritaz und Brenda Durrer
ZHAW | Studentinnen
  • 08.09.2021
  • 5 min
Die Biodiversität ist stark unter Druck. Es stehen nicht nur unzählige Tier- und Pflanzenarten auf dem Spiel, sondern auch unsere Lebensgrundlage. Fast die Hälfte aller Lebensräume und über ein Drittel aller Arten sind in der Schweiz bedroht. Hauptverantwortlich dafür sind der Einsatz von Pestiziden und die Ausweitung der intensiven Landnutzung. Gerade beim Bauen müssen wir deshalb umdenken, und zwar besser heute als morgen! Doch wie können wir an einem Gebäude Lebensräume schaffen, die sowohl dem Menschen als auch der Natur von Nutzen sind? Dieser Frage sind wir in unserer Bachelorarbeit an der ZHAW (Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft) auf den Grund gegangen und haben dabei selbst ein Konzept für eine Gebäudehülle entwickelt.

Grün statt Grau, Integrativ statt Additiv

Gebäudebegrünungen sind nichts Neues. Dennoch wird die Fassade, die einen Grossteil der Gebäudehülle ausmacht, oft vernachlässigt. Als Ausgleich dazu werden u.a. Nistkästen platziert. Diese additiven Elemente sind nützlich, aber häufig nicht fertig durchdacht. Wenn z.B. keine Blumen in der Nähe von Bienenhotels sind, werden sich auch keine Wildbienen ansiedeln. Unser Ziel war es deshalb eine Fassade so zu gestalten, dass sie selbst als eine Grundlage für Flora und Fauna dient und die Bedürfnisse von Arten innerhalb ihres Lebensraumes berücksichtigt. Begleitet wurde unser Vorhaben durch Dr. Chiara Catalano (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, ZHAW) und dem Architekturbüro Vbau, für die wir an einem Einfamilienhaus in Gattikon das Konzept der Gebäudehülle erstellten.

 

Tiere als Stakeholder, Lebensräume als Vorbilder

Zwei Projektbeispiele haben unsere Arbeit dabei besonders geprägt: das Schulgebäude von Chartier Dalix in Boulogne-Billancourt und das Konzept Animal-Aided Design (kurz AAD) von der Universität Freisingen und Kassel.2 Beim AAD werden ausgewählte Arten selbst zu Stakeholdern, indem die Bedürfnisse der Zieltierarten in jeder Lebensphase in ein Projekt eingebaut werden. Dafür ist jedoch viel Wissen über die einzelne Art nötig, das nicht immer vorhanden ist. Das Architekturbüro Chartier Dalix hat diesen Nachteil erkannt und versucht stattdessen ganze Lebensräume an der Gebäudehülle zu imitieren.3 Dieser Ansatz sorgt für ein breiteres Spektrum an geförderten Arten, doch wird hier weniger auf einzelne Artenbedürfnisse eingegangen. Nach langer Diskussion, welcher der beiden Ansätze sinnvoller für unser Projekt ist, entschlossen wir uns beide Ansätze in einer eigenen Methode zu vereinen, um deren Vorteile zu kombinieren.

 

Analyse und Selektion - ein wichtiges Werkzeug

Doch welche der 45'000 bekannten Arten sollten wir innerhalb unseres Projektes nun fördern? 4 Um das herauszufinden, analysierten wir die Tierbeobachtungen der letzten 20 Jahren im Umkreis des Gebäudes und deren Zugänge dahin. Die Tierarten wurden u.a. nach den folgenden Kriterien ausgewählt: Förderungsbedarf, Menschenverträglichkeit und Umsetzbarkeit innerhalb des Projektes. Schlussendlich definierten wir den Europäischen Igel, die Mehlschwalbe, den Gartenrotschwanz, das grosse Mausohr, die Maskenbiene und die Zauneidechse als Zieltierarten für das Projekt. Parallel dazu verlief der Auswahlprozess der Lebensräume, wobei darauf geachtet wurden, dass die Lebensräume mit den ausgewählten Arten vereinbar sind. Wir erstellten dafür ein 3D-Modell des Hauses und simulierten die tägliche Beschattung jeder Fassadenseite. Anhand einer Nutzwertanalyse wurden damit für die sonnige Südseite den Lebensraum «Trockenwarme Mauerflur», für die schattige Nordseite den Lebensraum «Waldmeister-Buchenwald» und für die Ost- und Westseite ein Mix aus den Lebensräumen «Waldmeister-Buchenwald» und «Mesophiler Krautsaum» imitiert.

 

Modular, clever, umweltfreundlich

Im letzten Schritt erstellten wir ein Konzept für das Design der Gebäudehülle. Unser Ausgangspunkt dabei war das Material. Es soll einerseits einen tiefen Fussabdruck aufweisen, und andererseits dem Architekturbüro hohe Gestaltungsfreiheit lassen. Am geeignetsten hat sich der Ziegelstein erwiesen, da er modular ist und unterschiedlich grosse Hohlräume enthält, die als Platzhalter für die Substrate dienen. Daraus entwickelten wir die sogenannten «Elemente», die entweder verschiedene Substrattiefen für Pflanzen besitzen und so den Lebensraum nachbilden oder die Bedürfnisse der einzelnen Zieltierarten z.B. durch Versteckmöglichkeiten abdecken. Für jede Fassadenseite wurde so eine Empfehlung abgegeben und eine Visualisierung mithilfe des 3D-Modelles erstellt.

 

Wie geht es weiter?

Die Thematik der Biodiversitätsförderung an Gebäuden hat hohes Potenzial und wird noch zu wenig thematisiert. In unserem Projekt gibt es ebenfalls noch viele offene Fragen. Beispielsweise würde uns interessieren, wie stark die begrünte Fassade gepflegt werden muss. Dieser und weiteren Fragen werden wir gerne innerhalb einer Master- oder Forschungsarbeit weiter beleuchten.

 

Quellen:

  1. BAFU. (2014). Biodiversity in Switzerland. Summary of Switzerland’s Fifth National Report under the Convention on Biological Diversity. Bundesamt für Umwelt: Bern. 
  2. Hauck, T., & Weisser, W. (2015). AAD - Animal Aided Design. Kassel: Universität Kassel.
  3. Chartier, F., Dalix, P., Deramond, S., Huguet, A., & Waller, M. (2019). Chartier Dalix. Hosting life - Architecture as an Ecosystem (frz. Accueillir le vivant L`architecture comme écosystème) (1. Auflage). Zürich: Park Books.
  4. BAFU. (2019). Zustand der Artenvielfalt in der Schweiz. Abgerufen am 25.08.2021 von https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/zustand-der-biodiversitaet-in-der-schweiz/zustand-der-artenvielfalt-in-der-schweiz.html

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