Ihres Glücks eigene Schmiede

Sie haben mit ihrem Startup yamo mehrere Preise abgeräumt, und nun läuft auch das Geschäft immer runder. Auch wenn dies sehr viel Arbeit bedeutet, ist für Tobias Gunzenhauser und José Amado-Blanco klar, dass ihr Glück in der Selbständigkeit liegt.

Gemäss einer Studie der FHNW aus dem Jahr 2017 arbeiten Selbstständigerwerbende pro Tag und Woche deutlich länger als Angestellte. Dafür hätten sie deutlich mehr Freiheiten bei der Festlegung ihrer Arbeitszeiten und können auch selbstbestimmter handeln. So lägen denn auch das Wohlbefinden und das berufliche Engagement deutlich höher. Je nach Berufsgruppe sind allerdings die Unterschiede sehr gross. Hoch qualifizierte Selbstständige würden demnach in der Regel besonders von guten Arbeitsbedingungen profitieren.Um dieser Frage nachzugehen, haben wir Tobias Gunzenhauser und José Amado-Blanco getroffen. Die beiden FH-Absolventen haben sich zusammen mit Luca Michas erfolgreich selbstständig gemacht. Erste Preise räumten sie bereits 2016 ab, damals erst mit ihrer Idee. Inzwischen sind sie voll im Geschäft mit ihrem Startup yamo, das einen Babybrei vertreibt, der vollständig aus natürlichen Zutaten besteht, schonend hergestellt wird und keinerlei Zusätze enthält. Seit Februar stehen ihre Produkte schweizweit in speziellen Kühlregalen im Babyregal von Coop. INLINE hat Tobias und José zum Interview an ihrem Sitz in Zug getroffen. Trotz der vielen Arbeit, die anfällt, möchten sie keine Sekunde etwas anderes machen, wie im Gespräch deutlich wird.

Was war zuerst da: die Geschäftsidee oder das Vorhaben, ein Startup zu gründen?

Tobias: Ich habe nach dem Studium erst einmal bei der Firma Campari gearbeitet. Nach einiger Zeit brauchte ich neue Impulse und habe an der HSLU einen MAS absolviert. Ich kam mit Begriffen wie Digitalisierung, Entrepreneurship, Startups, Disruption in Berührung. Die Gastdozenten haben mich unheimlich inspiriert – Unternehmer, die sich an das Unbekannte gewagt hatten. Diese neue Welt hat mir die Augen geöffnet. Vermutlich schwelte von da an das Vorhaben in mir, etwas Eigenes zu machen. Danach kam erst die Geschäftsidee. Nämlich, als ich zusammen mit meinem Arbeitskollegen Luca Michas einen veganen Monat einlegte und wir feststellten, dass die Babynahrung in den Regalen kaum dem entspricht, was wir uns vorstellten. Ich kündigte und überzeugte José von der Idee. Wir kannten uns von früher, unsere jüngeren Brüder sind beste Freunde.
José: Bei mir war es etwas anders. Ich wusste schon mein ganzes Leben, dass ich keinen normalen Weg gehen würde. Eine Berufskarriere als Angestellter ist einfach nicht mein Ding, das war mir irgendwie immer klar. Eine fixe Vorstellung gab es aber nicht. Als dann die Idee mit der Babynahrung kam, ergab sich das von alleine. So gesehen war erst die Vorstellung da, etwas Aussergewöhnliches zu machen, die aber erst mit der Geschäftsidee konkret wurde.

Ihr konntet euch selbstständig machen – für euch ein Glück?

Tobias: Als wir im März 2016 begonnen haben, die Idee ernsthaft zu verfolgen, war da erst einmal bei mir eine grosse Ungewissheit. Es war ein Abenteuer. Glücksgefühle waren da noch nicht gross vorhanden.
José: Ich habe das anders erlebt. Im Masterstudiengang hatte ich bereits zwei Startup-Gründer kennengelernt. Thilo Hühn, unser Dozent an der ZHAW zum Beispiel, war eine grosse Inspiration für mich. Ich habe bewusst und klar entschieden: Diesen Weg will ich gehen. Ich habe noch bis Juni 2016 50 Prozent studiert und nebenher 100 Prozent für das Projekt gearbeitet, welches bereits dann Priorität hatte. Für mich stimmt das bis heute.

Wie viel arbeitet ihr?

Tobias: Viel mehr als früher.
José: Das eine ist das Arbeiten. Das andere ist das Gründersein. Auch wenn ich nicht arbeite, ist die Arbeit immer präsent. Es fallen einem Dinge ein unter der Dusche, beim Wandern. Kollegen fragen, wie es läuft, meist drehen sich die Gedanken darum. Immerhin kann ich mittlerweile besser abschalten.
Tobias: Ich habe noch nie Stunden gezählt. Es wäre wohl angsteinflössend. Aber ich denke auch an die Worte von Elon Musk, der sagt: Wenn der Durchschnittsmensch 40 Stunden arbeitet, du aber 100, dann bist du Ende Jahr eben auch doppelt so weit gekommen.

Stichwort GrĂĽndersein. Seid ihr als FirmengrĂĽnder auch eures GlĂĽcks eigener Schmied?

Tobias: Ja, ich denke schon. Als Angestellter war es bei mir immer so, dass, wenn ich mit etwas nicht vorankam, auch äussere Umstände bremsten. Hier habe ich alles besser in der Hand, kann es mehr steuern. Alles ist direkter, das ist befriedigender.
José: Es ist ein anderer Druck. Wir machen uns selber Druck – erzwingen unser Glück selber. Da ist kein Chef, der von oben herab befiehlt.

Könnt ihr euch vorstellen, wieder als Angestellte tätig zu sein?

Tobias: Für mich ist das nur sehr schwer vorstellbar.
José: Es gäbe für mich wohl Jobs, die ich als Angestellter machen könnte. Aber ich wäre sehr wählerisch.
Tobias: Einfach irgendetwas im mittleren Kaderbereich sicher nicht. Aber in einer Partnerposition in einem Unternehmen, wo ich selber für etwas zuständig bin und auch selbstständig unternehmerisch tätig sein muss, vielleicht. Doch das ist derzeit meilenweit weg.
José: Genau. Es ist nicht auszuschliessen, aber schon sehr weit weg.

Wann hattet ihr letztmals ein GlĂĽcksgefĂĽhl?

José: Man hat jeden Tag kleine Glücksmomente. Ich freue mich darüber, wenn ich sehe, wie unsere Mitarbeitenden hier unsere Philosophie mittragen, alles geben. Wenn sich jemand bei uns blind bewirbt, weil er für uns arbeiten möchte. Das erleben zu dürfen, ist immer wieder überwältigend.
Tobias: Gerade gestern. Da kam eine grosse Bestellung von Coop rein. Wir sind seit drei Wochen bei Coop national vertreten – jede Woche wird die Bestellung grösser. Das ist natürlich jedes Mal ein Glücksgefühl. Es zeigt, dass unser Produkt wirklich einschlägt. 

Wann hattet ihr letztmals Ferien?

Tobias: Letztes Mal im November.
José: Ich habe da jeden Tag Mails von ihm gelesen (lacht).
Tobias: Davor hatte ich fast zwei Jahre keine. Und damals war es meine Hochzeitsreise, ich musste also fast mit (lacht).
José: Ich muss überlegen ... Ich war letztes Jahr im April in Tel Aviv und Beirut und habe einige Tage wirklich nichts gemacht. Hie und da gibts ein verlängertes Wochenende. Doch so richtig eine Woche Ferien am Stück ganz ohne Arbeit, das ist länger her.

Vermisst ihr «echte» Ferien?

José: Es liegt wohl nicht daran, dass wir keine Ferien machen können, sondern gar nicht unbedingt wollen. Insofern vermisse ich sie nicht so sehr.
Tobias: Ich könnte zwar noch besser werden im ganz Abschalten. So vielleicht zwei bis drei Wochen pro Jahr würden nicht schaden. Aber vermissen? Nein.

Dieses Interview ist als Erstpublikation im Magazin INLINE Mai 2020 erschienen.

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