«Gute Führung ist ein Schlüsselfaktor»

  • 06.05.2025
  • 14 min
Keine Karriere ohne Leadership-Weiterbildung. Was aber entscheidet letztlich zwischen Erfolg und Misserfolg als Führungskraft? Die Antworten kennt Prof. Dr. Eric Lippmann.


Leadership. Dieser Anglizismus hat sich in den letzten Jahr(zehnt)en in unseren «Business»-Wortschatz eingenistet wie wenig andere. Kein Zufall. Gute Führungsarbeit ist ein wesentlicher Baustein, damit – etwas überspitzt formuliert – unsere Wirtschaft funktioniert. Davon überzeugt ist Eric Lippmann. Bei ihm am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) der ZHAW haben schon viele Chefinnen und Chefs einen Teil ihres Rüstzeugs erworben, andere suchen ihn für Beratungen auf. Im Gespräch erkärt der Experte, womit sich eine Führungsperson auseinandersetzen muss, weshalb er von Leadership-Kursen überzeugt ist – und wie er mit dem Problem renitenter Kursteilnehmender umgeht.

Was ist das häufigste Missverständnis betreffend Leadership?

Eric Lippmann: Leadership wird häufig mit Management verwechelt, wobei die Definition etwas unscharf ist. Beim Management geht es mehr um den betrieblichen Teil, die Hierarchie, das Fachwissen, die Hard Facts. Leadership dagegen beschreibt den psychologischen Teil der Führungsarbeit, hier sind Beziehungsgestaltung, Kommunikation und Führung auf allen Seiten gefragt. Also die Soft Facts.

Die Welt wird immer komplizierter, und damit auch gute Führungsarbeit. Pflichten Sie bei?

Es kommt darauf an, was man für Ansprüche hat. Wer meint, um gut zu führen, müsse man alles besser wissen, alles können, stets die Kontrolle bewahren – schafft einen Flaschenhalseffekt. Dann wird es schwierig in der heutigen Zeit. Versteht man Führung aber als Zusammenspiel, bei dem man ein Klima schafft, das die Leute zu Leistung anregt, wird man eher Erfolg haben und auch weniger einsam sein. Heute beruht Erfolg zumeist auf guter Teamarbeit. Auch diese Art der Führungsarbeit ist anspruchsvoll aufgrund der Dynamik und der Komplexität der Materie.

Wie schafft man es, ein gutes Klima zu schaffen?

Dazu braucht es vor allem einen Vertrauensvorschuss. Fehlt die Vertrauensbasis, gerät man leicht ins Kontrollieren, dann wird es schwierig.

Wer gut führen will, muss sich mit sich selber auseinandersetzen. Lautet die Kernfrage einer jeden Führungskraft also «Wer bin ich?»?

Etwas entscheidender oder genauer wäre: «Was gebe ich auf, wenn ich in eine Führungsrolle komme beziehungsweise weiter hierarchisch aufsteige? Was ist mir wichtig?» Meine Erfahrung ist: Wenn sich jemand über längere Zeit verleugnen und aufgeben muss, kommt es meist nicht gut. Menschen leiden darunter, so entstehen psychische Probleme.

Mehr als durch die 24-Stunden-Erreichbarkeit?

Das ist auch ein wichtiger Punkt heutzutage. Aber ich glaube, es kommt eher zu Burn-outs, wenn man sich verbiegen muss, die Sinnhaftigkeit nicht sieht und die Selbstwirksamkeit fehlt. Wenn Menschen hingegen Sinn und Wirkung in ihrer Tätigkeit sehen, dann sind sie oft bereit, sehr viel zu geben. Man sieht es bei den «Hochleistungsmenschen», sie erbringen erstaunliche Leistungen, da sie in ihren Aufgaben aufgehen. Dort spielen Arbeitspensum und Erreichbarkeit kaum eine Rolle.

Ist es absehbar, auf welche Weise künstliche Intelligenz Führungsarbeit verändert?

Da habe ich meine Hypothesen. KI kann einerseits Erleicherung schaffen, etwa wenn man Daten aufbereiten oder einen Vortrag vorbereiten muss. Wer nicht gerne schreibt und formuliert, kann diese Aufgaben ebenfalls leichter an eine KI delegieren.

Und andererseits?

Durch die gewonnene Effizienz können auch die Erwartungen steigen, man muss noch schneller liefern. Entscheidender erscheint mir aber eine andere Entwicklung.

Nämlich?

Die Frage: Kann man den Daten und Fakten noch trauen? Man muss die Fähigkeit und Bereitschaft haben, die kritische Zusatzschlaufe einzulegen und KI-Resultate nochmals zu untersuchen. Man kann zwar auch diese Rückfrage an die KI delegieren. Das ersetzt aber nicht unser eigenes, kritisches Denken. Und vor allem ersetzt es nicht unsere emotionale Intelligenz. Einfach gesagt: KI unterstützt teilweise unseren IQ, nicht aber unseren EQ.

Gehört dazu die Frage, welche Intention hinter einer ausgespuckten Information stecken könnte?

Auch, und das führt eben zur Frage: Wie kann ich das, was ich hier habe, als Laie noch kritisch hinterfragen? Dies wird entscheidend vor dem Hintergrund, dass wir immer mehr in unseren Bubbles leben, in denen Informationen unkritisch geteilt werden und sich festigen. Innerhalb dieser Blasen droht uns das eigene kritische Denken abhandenzukommen. Das Thema des selbstständigen kritischen Denkens wird wichtiger werden.

Steuern wir in Richtung einer Aufklärung 2.0?

Vielleicht …

 

 

 

 

Welche Bedeutung hat Hierarchie heutzutage noch, wo vor allem Teamarbeit zählt?

Hierarchie ist nichts anderes als eine formale Struktur einer Organisation. Grössere Organisationen werden immer eine Struktur brauchen, diese bringt Ordnung, eine Reduktion der Komplexität und damit Entlastung. Das ist eine schlichte Notwendigkeit.

Einige Organisationen haben die Hierarchie abgeschafft.

Diese haben sie einfach durch andere Strukturen ersetzt, beispielsweise Regelsysteme oder Kreissysteme. Dort wird der gruppendynamische Effekt grösser und damit die informelle Hierarchie wichtiger: Wer hat Einfluss, auf wen hört man?

Wie lässt sich formelle Hierarchie mit modernem Leadership vereinbaren?

Die Frage ist: Wie gehe ich damit um? Wenn ich nur kraft meiner Position bestimme, wird es schwierig. Trotz Hierarchie muss man das Wissen der Organisation bündeln. Entscheidungen von oben sind nicht automatisch die besten. Es gilt, diese möglichst weit herunter zu delegieren, in den Bereich, den sie betreffen.

Leadership-Kurse und -Weiterbildungen gibt es wie Sand am Meer. Was bewirken sie?

Sie fragen mit mir natürlich keine neutrale Person. Ich bin aber überzeugt, dass gute Führung ein Schlüsselfaktor ist für die Leistung in einer Organisation und Führungskräfte hierbei eine zentrale Rolle spielen. Machen sie ihren Job gut und vermitteln einheitliche Werte, sind Mitarbeitende glücklicher, wird die Leistung besser, gibt es weniger Fluktuation.

Das klingt überzeugt!

Wenn ich nicht überzeugt wäre davon, was ich mache, würde ich es nicht tun. Es lohnt sich, in die Führungsausbildung zu investieren. Beim grösseren Teil der Teilnehmenden am IAP zahlen die Firmen die Kurskosten. Sie würden es kaum tun, würde es nichts bringen.

Auch an anderen Fachhochschulen sind Leadership-Weiterbildungen hoch im Kurs. Ist es ein Gebiet, das sich für FH besonders eignet?

Die Fachhochschulen haben sich des Themas tatsächlich sehr stark angenommen. Unis sind eher stärker beim Management. Das ergibt durchaus Sinn. Bei Leadership ist man nah am Menschen, daher passt es sehr gut in den Bereich der angewandten Wissenschaften. Und es bringt nur etwas, wenn die Teilnehmenden es direkt in der Praxis anwenden können – das wird am IAP vorausgesetzt. Damit haben die FH einen deutlichen Vorteil gegenüber den wissenschaftsorientierten Unis. Ich bin auch Befürworter davon, dass die Fachhochschulen nah an der Anwendung bleiben und bei den Wissenschaften nicht zu stark ausbauen.

Kommen die «richtigen» Leute in die Weiterbildungen?

So gross ist mein Überblick nicht, muss ich bescheiden sagen. Grundsätzlich ist eine Weiterbildung für alle sinnvoll, die beruflich in einer Führungsrolle sind oder kurz davor stehen. Zweifel habe ich, wenn jemand «auf Vorrat» einen Leadership-Kurs besucht. Wird das Wissen nicht angewendet, verpufft es schnell wieder. Was ich feststelle, ist, dass die Teilnehmenden mehrheitlich von sich aus kommen wollen.

Heisst das, es gibt Führungskräfte, die nie kommen, es aber nötig hätten?

Diese Frage stellt sich.

Sie reden aus Erfahrung …

Ich habe schon Kurse gegeben vor Leuten, die von dem ganzen «Psychologie-Zeugs» nichts halten und dies auch zeigten.

Weil sie sozusagen gewungen wurden zur Weiterbildung.

Vermutlich aus guten Gründen. Dann ist allerdings die Bereitschaft, etwas zu lernen, nicht gross.

Wie sind Sie mit dieser undankbaren Situation umgegangen?

Ich habe das für mich gelöst, indem ich bei den Arbeitgebenden die Kompetenz eingefordert habe, Unwillige wieder an den Arbeitsplatz zurückzuschicken. Zu Beginn eines Kurses zeigte ich Inhalt und Stoff und sagte, dass all jene teilnehmen könnten, die das lernen wollten. Das zwang die Führungskräfte, sich mit sich selber auseinanderzusetzen.

Und?

Niemand hat den Kurs verlassen und niemand hat sich danebenbenommen. Führungsarbeit läuft nur über die Auseinandersetzung mit sich selber und mit anderen. Man lernt ja auch nicht schwimmen, ohne ins Wasser zu springen.

Gibt es Leadership-Naturtalente?

Ich glaube schon. Damit meine ich Menschen, die fähig sind, Komplexes zu erfassen, und gleichzeitig sehr gut mit Menschen umgehen können, also einen hohen EQ wie auch einen hohen IQ haben. Was aber nicht heisst, dass nicht auch sie von einer Weiterbildung profitieren. Im Gegenteil, sie können besonders viel mitnehmen und umsetzen. Ausserdem profitieren die Unternehmen von deren Spitzenleistungen, auch für die anderen Kursteilnehmenden sind sie ein Mehrwert.

Wo sehen Sie Negativbeispiele?

In vielen Fällen werden Leute Führungskräfte, weil sie fachlich gut sind. Das sieht man vor allem im medizinischen Bereich, wo sehr gute Chirurgen Chefärzte werden – teilweise mit katastrophalen Folgen. Nach einer langen Fachkarriere möchte man sich mit Macht und Ansehen belohnen. Auch monetäre Anreize spielen eine Rolle. Die schlimmsten Fälle, die ich in der Beratung hatte, waren Personen aus Spitälern – auch weil es dort um Leben und Tod geht.

Mich überzeugt eine Führungsperson aber schon, wenn sie in praktischer Hinsicht gut ist, also auch das Handwerk versteht.

Man kann es auch so betrachten: Eine gute Führungskraft erträgt es, wenn Mitarbeitende fachlich besser sind. Das ist eine Frage der Kultur. Sicher ist es nicht gut, wenn ich das Gefühl habe, es spült einfach eine Person hoch, obwol sie fachlich nicht überzeugt. Dass aber Führungskräfte fachlich kaum immer die Besten sein können, sieht man sehr gut in der IT-Branche. Eine Führungskraft ist gar nicht mehr nahe und intensiv genug dran, um alle Neuerungen mitzubekommen. Sie organisiert die Besten um sich herum und fördert die Einzelnen, damit sie sich weiterentwickeln. Wenn eine Führungsperson nicht zulässt, dass jemand besser wird, macht sie sich zum erwähnten Flaschenhals. Aber ich gebe Ihnen recht: Die Chefin oder der Chef muss mindestens eine fachliche Ahnung haben von dem, was die Mitarbeitenden machen, sonst gibt es keine Akzeptanz. Zu einem gewissen Grad ist das ein Dilemma.

Woran scheitern Führungskräfte am häufigsten?

Wenn sich Personen überschätzen und sich selber nicht kritisch hinterfragen. Wenn sie ein übermässiges Kontrollbedürfnis haben, das Vertrauen fehlt. Mikromanagement. In der Komplexität von heute kann man nicht linear denken. Ich denke da an Donald Trump, er denkt sehr linear. Ein weiterer Punkt ist Konformitätsdruck, sich anpassen wollen, kein selbstständiges Denken und vorauseilender Gehorsam. Und dann gibt es leider auch die rund zehn Prozent schwarzen Schafe, die manipulieren und mogeln. Das kriegt man leider nicht weg.

Die beste Person erhält den Job, egal ob Frau oder Mann. Teilen Sie diese Meinung uneingeschränkt?

Grundsätzlich bin ich Anhänger dieser Haltung. Der oder die Beste gewinnt. Wenn man mit Quoten arbeitet, wird der Beigeschmack nie wegzubringen sein. Gleichwohl muss man bestrebt sein, eine Kultur zu leben, in der alle gefördert werden. Denn es ist ausreichend bewiesen, dass diverse Teams bessere Leistungen erbringen. Deshalb: Diversität ja, aber nicht um jeden Preis.

Dies braucht es für erfolgreiche Führungsarbeit


Gute Führungsarbeit kann sehr vieles bewirken, aber eben auch bremsen. Was braucht es, welche Eigenschaften eines Chefs, welche Talente einer Chefin? Eric Lippmann nennt hier die wichtigsten Punkte:

Kommunikation

«Wie kommuniziert man mit den Menschen? Auch der Umgang mit Konflikten ist entscheidend. Diese gilt es moderativ anzugehen. Wie gehe ich mit einem Konflikt um, der mich betrifft? Wie tritt man auf? Ein wichtiger Punkt, der im Zeitalter von Social Media manchmal auch etwas überschätzt wird.»

Umgang mit Komplexität

«Es gibt nicht nur eine Wahrheit, oder gemäss Faust: ‹Zwei Seelen wohnen in meiner Brust!› Heute sind es gleich mehrere. Selbstführung ist entscheidend, gerade auch in der Vorbildfunktion.»

Feedback

«Ehrlich, kritisch und wohlwollend.»

Resilienz

«Wie gehe ich damit um, wenn Stress aufkommt? Das gilt grundsätzlich für alle, für Führungskräfte aber speziell.»

Interkulturelle Kompetenz

«Die Fähigkeit zu Toleranz.»

Lernbereitschaft

Umgang mit Veränderungen, Change Management

Intelligenz

«Ein gewisser IQ ist unabdingbar, um komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Genauso wichtig ist aber auch die emotionale Intelligenz, der EQ, für den emotionalen wie kognitiven Zugang zu Menschen. Dieser fehlt öfters etwas bei Zahlenmenschen.»

Mut

«Man muss flexibel sein für neue Wege und gleichzeitig die Bereitschaft haben, im richtigen Moment Farbe zu bekennen. Ich habe das sehr stark gesehen in den USA, wo sich die Chefs der Techfirmen sehr schnell dem Kurs von Trump angepasst haben. Anpassung ist wichtig, aber in entscheidenden Momenten muss man hinstehen und Werte vertreten. Ansonsten ist man nicht mehr greifbar, eine Windfahne, was zum nächsten Punkt führt.»

Glaubwürdigkeit

«Für eine Organisation ist es wertvoller, wenn man mit seiner Haltung hinsteht und Dinge kritisch hinterfragt, als einfach eine Denkweise anzunehmen. Diese Haltung gilt es im entscheidenden Moment zu verteidigen. ‹Authentizität› passt hier nur bedingt, denn wir sind immer in einer Rolle, in jedem Kreis, ob bei der Arbeit oder in der Familie. Deshalb verwende ich gerne den Begriff ‹selektiv authentisch sein›. Das führt einen letztlich zur Frage: Wer bin ich eigentlich wirklich?»

Prof. Dr. Eric Lippmann

Eric Lippmann studierte und doktorierte in Psychologie und Soziologie. Seit den 90er-Jahren arbeitet er als Dozent, Personal Coach, Supervisor und Führungskräfteentwickler am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) der ZHAW. Von 2009 bis 2024 war er dort Leiter des Zentrums für Leadership, Coaching & Change Management. Er hat mehrfach zu Führungsentwicklung, Konfliktmanagement und Coaching publiziert, darunter als Mitherausgeber des Buchs «Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte».

Prof. Dr. Eric Lippmann


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