Grossstadtflucht

Stella
Studentin Soziale Arbeit ZHAW
  • 20.06.2022
  • 4 min
Es ist ruhig. Die Sonne kitzelt mich im Gesicht, der Wind rauscht in den Bäumen. Ab und an fliegen Schwalben zwitschernd vorbei. Bald wird das Rauschen der Bäume durch das Rattern der U-Bahn und das Zwitschern der Schwaben durch heulende Sirenen abgelöst werden. Dann weiss ich: Ich bin wieder in Berlin.

Wie anstrengend das Grossstadtleben sein kann, habe ich hier einmal mehr bemerkt. Obwohl Berlin mit knapp vier Millionen Einwohner*innen nicht mal annähernd zu den grössten Städten der Welt zählt, ist die Grösse auf allen Ebenen spürbar. Die kulturelle Vielfalt der Stadt lässt keine Wünsche offen, kulinarisch kriegt man hier fast alles und die verschiedenen Kieze der Stadt wirken teilweise wie Mini-Städte in der Grossstadt.

Doch genau dieses Gefühl, dass an allen Ecken immer etwas los ist und man pausenlos unterwegs sein kann, kann auch überfordern. Nach einigen Wochen spätabends Nachhausekommens – da noch eine Soli-Veranstaltung, hier noch ein Konzert und dort ein Filmfestival – musste ich mir eingestehen, dass ich eine Pause brauche. Und wo zieht es Berliner*innen hin, wenn ihnen die vielen Grünanlagen in der Stadt nicht ausreichen? Brandenburg! Da schlägt jedes Naturherz höher. Die totale Loslösung von der Zivilisation in verlockend greifbarer nahen Ferne. Vor allem der Spreewald hat es mir angetan und meine Erwartungen an eine kurze Erholung von der Grossstadt absolut übertroffen. Hier kann man sich beispielsweise tagelang in und um einen umgebauten Bauwagen vertun. Viele schöne Radwege führen an Wassermühlen, Bauernhöfen und Feldern vorbei, sodass die Erholung sich bereits auf dem Weg zum Idyll einstellt.

Ein letzter Blick auf das gelbe Feld, welches in der Mitte und auf der Seite mit rotem Mohn und blauen Kornblumen durchzogen ist, und dann heisst es auch schon wieder, Rucksack packen, Helm auf und mit dem Fahrrad zurück zum nächsten Bahnhof und in den Regio nach Berlin (Die Fahrkarte dafür gehört hierzulande zu den Semestergebühren!). Ein bisschen Wehmut, aber auch ein bisschen Vorfreude auf das aufregende Stadtleben schwingen mit. Denn ich bin mir sicher: Meine Energiebatterien sind nun wieder voll aufgeladen.

 

Kleine Anmerkung der Autorin: Beim Durchlesen dieses kurzen Beitrags wurde mir wieder einmal bewusst aus welch privilegierter Position heraus ich ebendiesen verfasst habe. In meinem momentanen Alltag an der ASH (und auch sonst in Berlin) beschäftigt mich der Gedanke, mit welchen Privilegien ich geboren wurde und dass diese nicht selbstverständlich sind. Dass «sich eine kurze Auszeit aus der Grossstadt nehmen» ein solches Privileg ist, möchte ich hiermit festhalten und als Aufforderung für weitere Reflexion verschiedener Positionen in unserer Gesellschaft verstehen. #checkyourprivileges

 

Dieser Artikel ist als Erstpublikation im Blog Socialwork der ZHAW erschienen.

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