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Der Murmeltier-Wettkampf

Prof. Dr. Tobias Leutenegger
Studienleiter Photonics, Leiter Institut für Photonics und ICT | FH Graubünden
  • 24.02.2020
  • 6 min
Eine praxisorientierte Ausbildung ist einer der wichtigsten Aspekte für die erfolgreiche Vorbereitung der Studierenden des Bachelorstudiengangs Photonics auf die Arbeitswelt. Mit dem Projekt «Murmeltier», einer Art Kugelbahn, waren die Absolventinnen und Absolventen im letzten Jahr stark gefordert. Sie bewiesen ihrem Studienleiter jedoch, dass sie bereit sind für die Arbeitswelt.

Jeweils im 6. Semester sollen die Studierenden im Bachelorstudium Photonics ihr erworbenes Wissen aus den verschiedenen Fächern im Rahmen eines realen Projekts vereint unter Beweis stellen. Im vergangenen Jahr bekamen sie die Aufgabe, ein System zu entwickeln und zu konstruieren, mit dem eine Kugel auf einem Brett kontrolliert balanciert werden kann. Zu diesem Zweck wurden ihnen lediglich eine Kamera, ein Raspberry Pi, zwei Servomotoren, eine Murmel sowie ein Semester lang Zeit zur Verfügung gestellt.

 

Eines der Lernziele bestand darin, in Teams und unter Konkurrenzdruck zu arbeiten. Dazu wurden zwei Dreierteams gebildet, die folgende Aufgaben lösen mussten: Zum einen musste die Kugel möglichst schnell aus einer beliebigen Position auf dem Brett in das Loch in der Mitte eingelocht werden. Zum anderen sollte sie möglichst schnell zehn Mal innerhalb eines Kreisrings um das Loch herumrollen. Schon bald kristallisierte sich bei dieser Aufgabenstellung der Projektname «Murmeltier» heraus.

 

Konkurrenzdruck als Herausforderung

Beide Teams mussten ihre Aufgaben selbständig aufteilen und planen. Erfahrungsgemäss ist die Team-Zusammenarbeit zu Beginn einer solchen Projektarbeit ideal. Treten die ersten Probleme auf oder ist das Konkurrenzteam besser, bauen sich zwischenmenschliche Spannungen auf. Schuldzuweisungen und Zuständigkeitsfragen machen die Runde und der Projektleiter ist gefragt. Gerade auch solche wichtigen Erfahrungen sollen die Studierenden während ihrer Ausbildung machen, denn die meisten von ihnen werden später in Entwicklungsteams arbeiten. Im Projekt «Murmeltier» konnten die Unstimmigkeiten immer rasch behoben werden, sodass die Stimmung nie ins Negative kippte.

 

Die Studierenden waren auch in Bezug auf die Hardware gefordert. Im Vordergrund standen dabei der mechanische Aufbau, die Schnittstellen der Servomotoren sowie die Lagerung der Achsen und Halterungen für die Kamera und das Raspberry Pi. Die benötigten Teile wurden von den Studierenden selbst konstruiert: Sie wurden aus Holz, Kunststoff und Aluminium im Produktentwicklungslabor PROLAB auf der Vier-Achsen-Fräse hergestellt und zum Gesamtsystem zusammengebaut.

 

Weitere Schwerpunkte des Projekts waren die Bestimmung der Kugelposition mittels eigens geschriebener Bildverarbeitungssoftware und die Regelungstechnik. Es galt, die Position der Kugel auf dem Spielbrett möglichst schnell und genau zu erfassen. Sie entspricht der Ist-Position zum Zeitpunkt der Bildaufnahme. Aus der Abweichung der Ist-Position zur gewünschten Soll-Position werden die Ansteuerungsparameter für die beiden Servomotoren zur Neigung des Spielbretts berechnet. Dauert dieser Bildverarbeitungsschritt zu lange, ist die Kugel schon wieder zu weit weg und der Algorithmus hinkt der Realität nach.

 

Diese Dynamik verursachte den Studierenden einiges Kopfzerbrechen. Um die Bildverarbeitung zu beschleunigen, kann der Bildausschnitt kleiner gewählt werden. Dadurch ist der Algorithmus zwar schneller, aber die Kugel rollt oft aus dem Bild und man hat ihre Position ‒ und somit das Spiel ‒ verloren. Ist der Ausschnitt zu gross, hat man zwar den Gesamtüberblick, braucht aber zu lange, sodass die Kugel oft schon vom Spielbrett fällt, bevor man reagieren kann ... und das Spiel ist ebenfalls verloren. Um das geforderte Optimum zu finden, waren systematische Analysen und vor allem viel Geduld gefragt.

 

ErnĂĽchternde Zwischenbilanz

Nach der ersten Hälfte des Semesters mussten die Studierenden ihre bisherigen Arbeiten präsentieren. Der Studienleiter wollte wissen, wo die beiden Projekte stehen und wie sie bis anhin betreut worden waren. Das Fazit war ernüchternd: Die Aufgaben waren nicht getrennt worden, die Teams hatten keine Projektleiterin bzw. keinen Projektleiter ernannt und dem Studienleiter fehlte die Systematik bei der Problemlösung. Entsprechend kritisch waren seine Bemerkungen: Er machte den beiden Teams klar, dass er nicht an den Erfolg der bisher entwickelten Systeme bis Ende Semester glaube. Diese bewusste Provokation erzeugte jedoch genau den gewünschten Effekt und die Studierenden gaben nochmals richtig Vollgas.

 

Eine weitere Herausforderung auf dem Weg zum Ziel war dann die «Vermählung» von Hardware und Software. Hat man die Systeme korrekt abgegrenzt und die Schnittstellen sauber definiert, geht dieses Zusammenführen sehr schnell ‒ andernfalls wird es zu einem zeitraubenden Nervenspiel. Bei beiden Teams arbeiteten Hardware und Software schliesslich Hand in Hand. Zum Schluss mussten nur noch die Regelparameter für das System festgelegt werden. Doch dieser kleine Schritt dauerte bei beiden Teams bedeutend länger, als es in den ursprünglichen Zeitplänen vorgesehen war.

 

Am 31. Mai 2019 war es dann soweit: Der Tag der Entscheidung war gekommen. Die beiden Teams mussten gegeneinander zum Wettkampf antreten und es sollte sich zeigen, ob sich die vielen Arbeitsstunden und Nachtschichten gelohnt hatten. Bis zur letzten Sekunde hatten die Studierenden an der Hardware geschraubt und die Software optimiert.

 

Wettkampf mit dem Studienleiter

Als Höhepunkt ihrer Arbeitforderten die Studierenden mich als Studienleiter zu einem Duell «Man-against-Machine» heraus. Sie wollten mir beweisen, dass ihre Maschinen funktionierten und schneller sein würden als ich von Hand. Als Wetteinsatz wurde eine Kiste Monstein-Mungga-Bier gesetzt. Da ich wusste, dass die Systeme der Teams mittlerweile sehr gut funktionierten, trickste ich etwas: Durch einen integrierten Magneten in meiner Holzplatte konnte ich mit einer Stahlkugel die ersten beiden Runden für mich entscheiden. Ungläubig bestaunten die Studierenden meine Balancierfähigkeiten. Sie erkannten aufgrund der Bewegung der Kugel jedoch schnell, dass meine Kugel durch einen Magneten beeinflusst wurde. Der Fairness wegen tauschte ich meine Kugel schliesslich aus. Und da hatte ich keine Chance mehr gegen die Studierenden, denn ihre beiden Systeme hatten eine beeindruckende Performance. Das Gewinner-Bier habe ich mit viel Freude und Stolz spendiert.

 

Dieser Artikel ist als Erstpublikation im Magazin Wissensplatz der FH Graubünden erschienen.

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