Chinas Gegensätze – von Hong Kong bis zum wilden Westen

Olivier Stamm
  • 04.06.2018
  • 6 min
Die letzten Wochen boten wieder alles, was ich mir für meinen Aufenthalt in China erwünscht habe: Bereicherndes Studium, buntes Alltagsleben und eine neuerliche Reise in den wilden Westen Chinas. Auf geht’s!

Die Vorlesungen an der UniversitĂ€t gefallen mir jeweils am besten, wenn der Bezug zur Praxis und speziell zu China ersichtlich ist. Im Module e-commerce diskutierten wir das Thema ‘Sharing Economy’ und analysierten entsprechend Grosskonzerne wie Airbnb oder Uber. Obwohl, es gĂ€be da ja auch Schweizer Beispiele. Sollte jemand von euch mal fĂŒr ein paar Stunden (anstatt langfristig) ein Sitzungszimmer oder Tagungsort suchen, schaut man am besten bei workspace2go.com vorbei. Wie dem auch sei, klar ist, dieses Trio hat Einiges gemeinsam. Aus der Firmen-Perspektive ist speziell, dass sich die Unternehmen darauf fokussieren, Dienstleistungen besser zu vermitteln wĂ€hrend sie diese nicht besitzen. Auf unsere drei Beispielfirmen bezogen geht das so: Im Gegensatz zur Hilton Hotelkette besitzt Airbnb keine Liegenschaften, anders als die Taxizentrale Winterthur (GrĂŒsse an Tommy) hat Uber nie ein Taxi gekauft und workspace2go kĂ€me es wohl nie in den Sinn, selbst ein BĂŒrogebĂ€ude zu erwerben. Aus der Konsumenten-Sicht ist Sharing Economy spannend, da man Produkte nicht lĂ€nger besitzen muss, sondern diese bei Bedarf fĂŒr eine kurze Zeitfrist mieten kann. NatĂŒrlich hat dieser Trend auch China erreicht. Man denke nur an das neue Strassenbild, welches durch MietfahrrĂ€der geprĂ€gt ist wie in kaum einem anderen Land. In Sachen Sharing Economy geht China gar einen Schritt weiter als die meisten anderen Nationen. In Metrostationen können mittlerweile an Automaten Regenschirme gemietet werden und das Startup Zhulegeqiu bietet Basketball-Mietmaschinen an. Am ausgefallensten (und schon wieder am Ende) war der Versuch vom Sex-Spielzeughersteller ‘Touch’ weibliche Sex-Puppen via App zu vermieten.

Jetzt aber genug der klugen Worte, denn das Highlight der letzten Wochen war dann noch nicht die UniversitĂ€t, sondern der Besuch meiner Eltern. Erst reiste ich nach Hong Kong, um dort mit ihnen ein verlĂ€ngertes Wochenende zu verbringen. Oft werde ich gefragt, was der Unterschied zwischen der bis 1997 an England verpachteten Stadt und Shanghai ist. Mein zweiter Aufenthalt zeigte mir erneut auf, dass sich diese zwei internationalen Hotspots doch stark unterscheiden. Als Reisender scheint mir die Sprache der grösste Unterschied. Englisch ist omniprĂ€sent in Hong Kong, wĂ€hrend in Shanghai der Grossteil der Restaurants meist noch immer nur Speisekarten in chinesischer Sprache fĂŒhrt. Was weiter auffĂ€llt, ist, dass die Einwohner Hong Kongs auf viel engerem Raum zusammenleben. Wer hier wohnt, hat fĂŒr die Schweizer Definition von «Dichtestress» wohl nur ein mĂŒdes LĂ€cheln ĂŒbrig. Zudem scheinen sich die Neu-Chinesen aus Hong Kong insgesamt etwas «westlicher» zu verhalten, was sich beim Anstehen oder beim Essverhalten wiederspiegelt.

Am darauffolgenden Wochenende durfte ich meine Eltern dann in Shanghai empfangen. Im Mittelpunkt stand nicht das Besichtigen der bekannten SehenswĂŒrdigkeiten wie Yuyuan Garden oder Jing’an Temple, sondern die Beiden in meinen Alltag eintauchen zu lassen. Ein doch zentraler Punkt war aufs Neue zu entdecken, was die Chinesische KĂŒche zu offerieren hat: Hot Pot, Dumplings, exotische FrĂŒchte, frischgemachte Nudeln und Bubble Teas. NatĂŒrlich liessen wir uns auch eine wohltuende (oder «wehtuende»?) Massage und einen Cocktail mit Blick auf die Skyline Schanghais nicht entgehen. Um den Besuch abzurunden, stand am Wochenende noch ein Halbmarathon und der Besuch einer Akrobatikshow auf dem Programm. Die Zeit verging wie im Flug und schon waren meine Eltern auf dem Weg zurĂŒck, womit ich meinen Fokus wieder aufs Studium richtete.

Nach zwei strengeren Wochen gespickt mit PrĂ€sentationen und einzureichender Arbeiten bot sich mir Ende Mai die Chance, ein paar Tage zu verreisen. Wie im vergangenen Oktober zog es mich in die ganz im Westen gelegene Provinz Xinjiang. Im Unterschied zu damals reiste ich heuer nach Kashgar, einem wichtigen Knotenpunkt zur Weiterreise nach Pakistan, Afghanistan, Tadschikistan und Kirgistan. Diese 500'000 Einwohner fassende Stadt liegt so weit im Westen des Landes, dass Istanbul nĂ€her zu Kashgar liegt als Shanghai. Im Vergleich zum im Oktober bereisten Wulumuqi ist hier die polizeiliche und militĂ€rische PrĂ€senz nochmals höher. An jeder Kreuzung und an jedem GeschĂ€ftseingang sind Uniformierte postiert, die Ausweis-Kontrollen und Sicherheits-Checks durchfĂŒhren. Die Überwachung wird komplettiert durch Kameras, sodass fast jeder Schritt in der Stadt aufgenommen wird. Bis vor wenigen Jahren war diese Region Chinas aufgrund einiger TerroranschlĂ€ge und politischen GrĂŒnden fĂŒr Touristen gar gesperrt. Wie dem auch sei, nun seid Ihr geopolitisch gerĂŒstet, deswegen jetzt mehr zum Erlebten.

Der Grossteil meiner Zeit in Kashgar verbrachte ich damit, neugierig in der Stadt herumzuirren. Besonders gefiel mir der Bazar, welcher angeblich der grösste seiner Art ist in ganz Zentralasien. Die Einheimischen sollen scherzen, dass sich hier alles ausser ‘HĂŒhnermilch’ finden lĂ€sst. Mir gefielen besonders die verschiedenen Teesorten, GewĂŒrze, Haushaltsprodukte, Teppiche und EssensstĂ€nde, welche ich fotographisch festhielt. Beim Marsch durch die Gassen der Stadt machte ich auch immer mal wieder Halt bei einem der unzĂ€hligen «Klein-BĂ€cker», die runde Fladenbrote verkauften. Diese werden hier von morgens bis abends gegessen und gelten als Grundnahrungsmittel. Ein weiteres Highlight war der Besuch des sonntĂ€glichen Viehmarkts. Jeweils einmal die Woche treffen sich die Bauern aus der NĂ€he Kashgars etwas ausserhalb des Stadtkerns, um KĂŒhe, Esel, Schafe und Ziegen zu verkaufen. Das FĂ€lschen wirkt wie eine Kunst und jeder Kauf wird mit einem Handschlag gefolgt von ein paar Scheinen besiegelt. Die grösste Attraktion meiner Reise war aber ohne Zweifel eine zweitĂ€gige Tour von Kashgar nach Tashkurgan und zurĂŒck auf dem Karakorum Highway. Diese jeweils rund 9h-stĂŒndige Reise fĂŒhrt durch eindrĂŒckliche TĂ€ler, vorbei an Gebirgsseen und hoch bis auf 4000 Meter ĂŒber Meer. Man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus, deswegen hier gerne der Hinweis auf die Fotos.

Die vergangenen Wochen haben einmal mehr gezeigt, wie vielfĂ€ltig China doch ist: vom englisch-freundlichen Hong-Kong ĂŒbers facettenreiche Shanghai bis zum zentralasiatisch angehauchten Kashgar! Nun gilt der Fokus allerdings dem Semesterabschluss, bevor ich Ende Juli fĂŒr ein paar Tage in die Schweiz zurĂŒckkehre.

 

Liebe GrĂŒsse aus Shanghai

Olivier

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