Beeindruckendes "Hollywood"-Gebirge und traditionelle Medizin

Olivier Stamm
Student Shanghai Jiao Tong University FH-Absolvent
  • 06.08.2018
  • 5 min
Zwei prächtige Monate sind seit meinem letzten Update vergangen. Juni und Juli standen ganz im Zeichen des Semesterabschlusses, der Fussball-WM und schliesslich dem vorläufigen Abschied von China.

Wie es sich gehört als Student, war bei mir Ende Semester, sprich im Monat Juni, ganz schön viel los. Ich musste zahlreiche Abschlussprüfungen absolvieren und Semesterarbeiten schreiben, was mit Nachtschichten und etwas trostlosen Tagen in der Bibliothek miteinherging. Doch auch während dieser strengen Zeit liess ich mir die Freude am Alltag nicht nehmen. Einerseits ist ja Studieren durchaus kurzweilig und lehrreich, andererseits war da noch die Fussball-WM. In China, wo eigentlich Basketball die Leute mehr in den Bann zieht, stösst auch der Fussball auf immer grösseren Anklang und wird auf zahlreichen Leinwänden und Grossbildschirmen gezeigt. Dieser neue Fokus auf den weltweit beliebtesten Sport liegt allerdings nicht nur am gesteigerten Interesse des Volkes sondern (oder vielleicht mehr?) an der Vorliebe seitens der politischen Führung. Xi Jinping, Präsident Chinas, hatte unlängst drei Ziele definiert: Qualifikation Chinas für eine Weltmeisterschaft, Durchführen der Weltmeisterschaft & Gewinn der Weltmeisterschaft. In einem zentralregierten Land sind solche Aussagen nicht bloss Floskeln, nein, ihnen folgen Taten. Um die Gunst der politischen Führung zu gewinnen, scheuen sich die lokalen Firmenbosse nicht, grosses Geld in den Fussball zu investieren. So steckt hinter jedem Fussballverein ein finanzkräftiges (Staats-)Unternehmen. In den letzten Jahren wurden Fussballgrössen wie Carlos Tevez, Paulinho oder Hulk schwach und nahmen für das grosse Geld den sportlichen Abstieg in Form der Chinese Super League in Kauf.

Doch nicht alle sind wir Fussballfans! Sowieso fanden die meisten Spiele aufgrund der Zeitverschiebung in der Nacht statt, sodass ein Spiel eher Schlaf und damit Kraft kostete. Entspannung holte ich mir deshalb ab und an bei Fussmassagen. Meine altgediente Leserschaft weiss bereits, dass ich in China eine Vorliebe für diese Art der traditionellen chinesische Medizin (TCM) entwickelt habe. Mir wurde allerdings erst im Modul ‘Chinese Culture’ bewusst, dass solche Massagen nur ein kleiner Teil der «Therapie-Methoden» sind und TCM ganz generell einen grossen Einfluss auf die Lebensweise von Chinesen hat. Das oft mit China verbundene Yin & Yang-Symbol findet zum Beispiel auch Platz in TCM, da nur gesund ist, wer im Leben die Balance findet. So werden Körperteile, Symptome oder auch Nahrung entweder Yin oder Yang zugewiesen. Als Beispiel: Alkohol, das mit Yin assoziiert wird, kann mit Fleisch, das als Yang definiert ist, ausgeglichen werden.

Yin & Yang ist allerdings nur ein kleiner Teil von TCM, denn auch Konzepte wie Qi (innere Kraft) oder die fünf Wandlungsphasen (Verknüpfung der Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde & Metall) sind fundamental. Neben dem tieferen philosophischen Hintergrund von TCM im Vergleich zur westlichen Medizin unterscheiden sich auch die Behandlungsweisen drastisch. Um einen Schnupfen zu kurieren, verlassen sich Chinesen also weniger auf Neocitran, sondern greifen auf Akkupunktur, Moxibustion, Ernährungs-Anpassung oder Schröpfen zurück. Da es mich immer wieder reizt, neue Dinge zu erleben und in die lokale Kultur einzutauchen, wollte ich auch mal sowas ausprobieren. Nach einiger Überwindung entschied ich mich fürs Schröpfen. Dabei werden dem Patienten eine Art Tassen auf den Rücken gelegt und darunter mit Hitze oder anderer Technik ein Vakuum kreiert. Das Ganze ist nicht besonders schmerzhaft, doch sieht es gewöhnungsbedürftig aus. Die Fotos der Live-Reportage findet ihr in der Bildstrecke.

Dank Fussball und Schröpfen liefen die Abschlussprüfungen ganz gut und der Juni war ein voller Erfolg, womit ich mir im Juli ein paar Reisetage verdient hatte. Erst verbrachte ich wenige Tage in Seoul, um der Heirat eines ehemaligen Mitstudenten an der ZHAW beizuwohnen. Es war grossartig, nach einer chinesischen Hochzeit im 2016 und der indischen Hochzeit anfangs Jahr ein neuerliches Spektakel hautnah mitzuerleben. Und für einmal möchte ich nicht auf die kulturellen Unterschiede, sondern auf die ‘menschliche Gleichheit’ hinweisen. Ob in Indien, der Schweiz oder jetzt in Südkorea: An Hochzeiten sprüht es einfach nur so von glücklichen Menschen und positiven Emotionen, was Religion und Kultur vergessen lässt. Man möchte denken, es sollte öfters so sein.

Nach den tollen Tagen in Südkorea durfte ich vor meiner Rückreise nach Europa noch drei Gäste in China empfangen. Zusammen mit meinem Bruder, einem treuen Freund und meiner mir Wohlgesinnten verbrachten wir einige tolle Tage in Shanghai, machten einen Abstecher in die ehemalige chinesische Hauptstadt Nanjing und reisten schliesslich zu den mittlerweile weltbekannten Avatar-Mountains nach Zhangjiajie. Deren Namen kommt nicht von ungefähr, diente doch diese Landschaft als Inspiration für Regisseur James Cameron für die Produktion des Oscar prämierten Filmes ‘Avatar’. Das feuchtheisse Klima war dafür verantwortlich, dass das Auf und Ab durch diesen Nationalpark eine echte Challenge war. Ohne die atemberaubende Landschaft als Entschädigung wären mir meine Gäste heute vermutlich nicht mehr wohlgesinnt.

Dieses Naturschauspiel zum Schluss bildete den spektakulären Schlusspunkt zu zehn tollen Monaten in China. Das nächste Semester werde ich wieder etwas näher zur Schweiz in Angriff nehmen: Ab September studiere ich in Form eines universitären Austauschs an der Sciences Po Paris. Sollte also jemand von Euch im Herbst den Eiffelturm besuchen, würde einem gemeinsamen Abendessen an der Seine nichts im Wege stehen.

 

Liebe Grüsse

Olivier

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