Visualisierung: Wie Bilder beim Lernen helfen

Bettina Scherr
freie Journalistin und Texterin | eduwo
  • 12.05.2021
  • 4 min
Erinnerst du dich an die Kinderbücher voller Bilder und kaum Text? Jeder lernt so ganz einfach von Kindesbeinen an. Ab einem gewissen Alter lösen sich die Lernmethoden von der Bebilderung und es gibt Text über Text über Text. Dabei funktioniert Lernen, das durch Bilder unterstützt wird, praktisch lebenslang und noch dazu viel besser. Das sollte man sich während Studium und Ausbildung zunutze machen.

Das Prinzip nennt sich Visualisierung und klappt in vielen Bereichen wunderbar. Das visuelle System des Menschen verarbeitet rund 70% aller Sinneseindrücke, sagen Physiologen. Bilder spielen auch in unserem Gedächtnis eine grosse Rolle und das Phänomen hört auf den Namen Picture Superiority Effect: Von einem Text, den man nur liest oder hört, sind drei Tage später noch etwa 10 Prozent präsent. Von einem Text, dessen Inhalt auch bildlich rüber gebracht wird, sind es nach drei Tagen über 60 Prozent.

 

Das Gehirn verarbeitet Bilder schneller als gesprochene oder geschriebene Information. Mit geschätzt 60.000 Mal sogar sehr viel schneller. Ein weiterer Grund ist vermutlich, dass Bilder vom Gehirn effizienter kodiert und damit besser „abgelegt“ werden. Eine so starke Sensorik ist eine grossartige Basis, wenn man sie beim Lernen richtig einsetzt. Denk an Vorträge und Vorlesungen: Vollgeschriebene Slides sind mühsam, doch bei Charts oder Notizen an einer Tafel kommt der Lerninhalt schon viel besser an.

 

Übungen für den Einstieg

Wie lässt sich Visualisierung beim Lernen nutzen? Indem gezielt Bilder passend zum Lerninhalt erzeugt werden. Das können reale Bilder wie Flussdiagramme oder Infografiken sein, aber auch imaginäre Bilder — am Ende erinnert man sich an beide Versionen sehr gut. Zum Ausprobieren kannst du mit einem Foto oder Objekt starten. Schau es genau an und versuche dann, das Objekt mit geschlossenen Augen im Kopf zu erzeugen. Erinnere dich an Farben und Strukturen. Kannst du es drehen oder erinnern, was noch alles drumherum stand? Das Gleiche geht mit Orten oder Personen.

 

Wenn du das öfter machst, wirst du feststellen, dass du mit der Zeit immer mehr Details abrufen kannst. Übertragen auf Lerninhalte helfen Bilder, selbst komplexere Konzepte zu erfassen und das Verständnis zu verbessern. Es gibt Studenten, die dank solcher Übungen später ihre Notizen nahezu klar im Kopf sehen, als lägen sie vor ihnen. Visualisierung ist ein ein starkes Tool, weil sie interessanterweise dieselben Hirnregionen stimuliert wie die tatsächliche Aktion. Wechselst du also zwischen Notizen und Visualisierung, kann die aktive Gehirnregion nicht unterscheiden, was von beiden du gerade machst (du selbst weisst es natürlich). Auf diese Weise üben Sportler/innen Bewegungen ein und kombiniert mit dem Training verfeinert das mit der Zeit effektiv ihre Technik.

 

Praktische Tipps

  • Verschaffe dir grob einen Überblick, bevor du loslegst: Wie sieht das kommende Kapitel aus? Wie lang ist es? Wo sind Infokästchen, Grafiken, Absätze und Überschriften verteilt?
  • Lies einen Abschnitt und versuche, passende Bilder zu entwickeln (vor allem dann, wenn das Lehrmaterial nichts hergibt). Lassen sich Töne, Bewegungen, Geschmack oder Gerüche einbinden, gewinnen die Bilder an Intensität.
  • Nutze farbige Karten, Markierungen, Unterstreichungen oder Klebmarkierungen und zeichne selbst Schemata, zum Beispiel Schlagwörter, die mit Pfeilen verbunden werden.
  • Erklärt in Lerngruppen ruhig gegenseitig, wie ihr euch etwas vorstellt. Das Bild, das sich jemand anders von einem Zusammenhang macht, funktioniert vielleicht besser oder verfeinert das eigene Verständnis.
  • Wer will, übersetzt sich einen Text so in Bilder, als sei es ein Dokumentarfilm. Wenn du dir gut Leute vorstellen kannst, laufen im Kopf vielleicht Szenen mit einer Sciencetuberin und ihrer Stimme ab.
  • Stell dir vor, du müsstest das Thema als animiertes Erklärvideo umsetzen. Welche Bilder oder Farben würdest du wählen?

 

Visualisierung funktioniert tatsächlich auch bei abstrakteren Konzepten. Wer die Technik bewusst anwendet, für den wird die Methode meist irgendwann zur Gewohnheit. Probiert es einmal aus. Oder habt ihr bereits Erfahrung damit?

 

Dieser Beitrag wurde als Erstpublikation im Bildungsmagazin eduwo veröffentlicht.

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