Rassel, Schnuller & Tablet - Digitale Medien im Alltag von Kleinkindern

Daniela Späni, Simone Bamert und Fabio Sticca
Frischabsolventen | Psychologie
  • 10.12.2020
  • 6 min
Digitale Medien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Inwieweit diese Entwicklung auch die kindliche Entwicklung beeinflusst, ist weitgehend unklar. Sowohl in Bezug auf die effektive Medienexposition von Kleinkindern als auch die damit einhergehenden Entwicklungschancen und -risiken bestehen deutliche Forschungslücken.

Während einerseits die digitalen Medien in vielen Lebensbereichen unsere Gewohnheiten stark geprägt haben, lässt sich den Empfehlungen bezüglich des Umgangs mit digitalen Medien im Alltag mit Kleinkindern eine eher restriktive Haltung entnehmen (WHO 2019). Frischgebackene Eltern werden dazu angehalten, ihre Einstellungen bezüglich der eigenen Nutzung und der Nutzung der Kinder zu reflektieren. Anhand verschiedener Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass die Einstellung das Verhalten einer Person nur bedingt vorhersagen kann (Graf 2007). Gemäss der Theorie des Geplanten Verhaltens (Fishbein & Ajzen 2011) ist die Intention, also die Absicht, ein Verhalten auszuführen, der beste Einzelindikator für die Vorhersage des tatsächlichen Verhaltens. Dabei wird die Intention von drei Determinanten bestimmt, nämlich von der persönlichen Einstellung, der wahrgenommenen Einstellung des Umfeldes (soziale Norm) sowie der Einschätzung der eigenen Einflussmöglichkeit (wahrgenommene Verhaltenskontrolle).

 

Sozial-kognitive Prozesse im Umgang mit digitalen Medien

In der Masterarbeit, welche im Rahmen einer Studie vom Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI) verfasst wurde, wurde untersucht, welche sozial-kognitiven Prozesse dem Umgang mit digitalen Medien im Alltag mit Kleinkindern zugrunde liegen. Zudem sollten erste Erkenntnisse in Bezug auf die Form und Häufigkeit der Medienexposition von 1 bis 48 Monate alten Kindern gewonnen werden.

 

Methodik 

Insgesamt 126 Hauptbezugspersonen wurden im Frühjahr 2019 mittels Online-Fragebogen zu ihrem Umgang mit digitalen Medien im Alltag mit ihren Kindern befragt. Für die Operationalisierung des Begriffs der digitalen Medien wurde die Art der digitalen Aktivität in den Vordergrund gerückt. Die Zusammenstellung der Aktivitäten orientierte sich an verschiedenen Studien zum digitalen Medienkonsum von Kindern und wurde anschliessend von verschiedenen Fachpersonen des MMI sowie einigen Hauptbezugspersonen von Kindern kritisch beurteilt (u.a. Forschungsverbund Südwest 2015). Der resultierende Aktivitätenkatalog umfasste neun digitale Aktivitäten. Diese liessen sich in Aktivitäten mit (z.B. Kurzvideos schauen) oder ohne Bildschirm (z.B. Hörspiel hören) unterteilen. Die Einstellung sowie die soziale Norm, die wahrgenommene Verhaltenskontrolle und die Intention wurden in Bezug auf diese neuen digitalen Aktivitäten erfasst. 

 

Ergebnisse zu Häufigkeit und Form der Mediennutzung Die Ergebnisse zeigten grosse Unterschiede in der Mediennutzung je nach Art der digitalen Aktivität. Digitale Aktivitäten mit Bildschirmmedien wurden deutlich seltener ausgeübt als digitale Aktivitäten ohne Bildschirm. Eine regelmässige Nutzung (mehrmals pro Monat) von Bildschirmmedien zeigte sich bei etwa der Hälfte aller Kinder, wobei mehrheitlich Kurzvideos, digitale Fotos oder digitale Bilderbücher konsumiert wurden. Spiele auf dem Handy, Tablet oder Laptop zu spielen sowie längere Filme oder Serien anzuschauen, erlaubten gut ein Fünftel der Eltern regelmässig. Mit Ausnahme der digitalen Aktivitäten «Längere Filme oder Serien schauen» dauerten die meisten Aktivitäten 15 Minuten oder weniger pro Tag. Weiter suggerierten die Ergebnisse, dass Kinder umso mehr digitale Medien nutzten, je älter sie waren. 

 

Vorhersage der Nutzung digitaler Medien 

Entgegen der theoretischen Hypothese erwies sich unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren lediglich die Einstellung als starker, direkter Prädiktor der Intention. Weiterführende Analysen zeigten, dass die wahrgenommene soziale Norm die Intention indirekt vorhersagen konnte: Eltern, die in ihrem sozialen Umfeld eine medienfreundlichere soziale Norm wahrnahmen, zeigten eine stärkere Intention, digitale Medien im Alltag mit ihren Kindern zu nutzen, weil sie eine medienfreundlichere Einstellung hatten. So resultiert eine komplexe Kette sozial-kognitiver Prozesse, welche die Nutzung digitaler Medien von der wahrgenommenen sozialen Norm über die Einstellung der Eltern und deren Intention beeinflusst. Weiter konnte gezeigt werden, dass das Alter des Kindes einerseits direkt auf die Nutzung digitaler Medien, andererseits indirekt durch einen Zusammenhang mit der wahrgenommenen sozialen Norm wirkte.

 

Fazit: Alter und soziale Norm als Einflussfaktoren

Einer der stärksten Faktoren, die den Einsatz von digitalen Medien im Alltag mit Kleinkindern beeinflussen, ist das Alter des Kindes. So vermag das Alter des Kindes das Verhalten genauso gut vorherzusagen wie die Intention selbst. Die starke Verbindung mit dem Alter des Kindes steht womöglich im Zusammenhang mit den zunehmenden Fähigkeiten, die Kinder in den ersten Lebensjahren erwerben. Während Kleinkinder in den ersten Lebensmonaten noch kaum in der Lage sind, digitale Medien zu benützen oder die Inhalte daraus auf einer symbolischen Ebene zu begreifen, ändert sich dies mit zunehmendem Alter. Eine weitere mögliche Erklärung für den enorm hohen Effekt des Alters könnte sein, dass es für Eltern mit zunehmendem Alter des Kindes schwieriger wird, sie von digitalen Medien fernzuhalten. Diese Vermutung bestätigt sich auch im negativen Zusammenhang von Alter und wahrgenommener Verhaltenskontrolle.

 

Des Weiteren prägt die Wahrnehmung der sozialen Norm die Einstellung der Eltern. Laut Cialdini und Goldstein (2004) orientieren sich Menschen vor allem in unklaren und unsicheren Situationen an einer informellen sozialen Norm. In der Fachwelt wird teilweise empfohlen, keine digitalen Bildschirmmedien im Kleinkindalter einzusetzen. Dem gegenüber stehen jedoch die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft und das damit einhergehende Bedürfnis der Eltern, ihr Kind auf diese Welt vorzubereiten und es «fit» für die digitale Welt zu machen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die starke Orientierung an der sozialen Norm durchaus nachvollziehbar.

 

Implikationen fĂĽr die Praxis

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind aufgrund der Stichprobengrösse und des eher hohen sozioökonomischen Status sowie Bildungsstands der befragten Personen nicht repräsentativ. Dennoch liefern die Ergebnisse einige wichtige Erkenntnisse über die zentrale Rolle der sozialen Normen. Offizielle Empfehlungen zum Umgang mit digitalen Medien spielen somit eine wichtige Rolle und sollten deswegen auf einer soliden empirischen Grundlage basieren. Aufgrund der geringen Anzahl belastbarer Studienergebnisse ist dies derzeit nicht immer der Fall, wie die Weltgesundheitsorganisation in den 2019 publizierten Richtlinien zu körperlicher Aktivität, sedentärem Verhalten und Schlaf (WHO 2019) klar kommuniziert. Der Zusammenhang mit dem Alter suggeriert zudem, dass Eltern den Empfehlungen nicht unbedacht folgen, sondern ihr Verhalten der Entwicklung des Kindes anpassen. Eine differenzierte und längsschnittliche Betrachtung der Rolle der Eigenschaften des Kindes, der Umgebung sowie des Inhaltes der digitalen und analogen Aktivitäten soll in dem Forschungsprojekt des MMI vorgenommen werden.

 

Dieser Text wurde als Erstpublikation im punktum veröffentlicht.

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