Orient meets Occident

Alexander Amir Khan
Student Textildesign HSLU Luzern - D&K
  • 11.06.2019
  • 5 min
Istanbul am Morgen ist wunderschön; fast keine Menschen und viel Platz. Die meisten Leute fangen erst später an zu arbeiten, daher habe ich die Stadt noch für mich allein. Wenn ich in Sultanahmed ankomme, ist der Platz zwischen Hagia Sophia und blauer Moschee wie leergefegt. Ich bewege mich Richtung Arasta Bazar, wo sich das Geschäft von Jennifer‘s Hamam befindet.

Während meines Ausland-Semesters, welches ich zwischen April und August 2018 in der Türkei absolvieren durfte, faszinierte mich besonders die nachhaltige, vom Handwerk geprägte Produktion, sowie das subtile, schlichte Design und die hochwertige Qualität der Produkte von Jennifer’s Hamam. Die Frottiertücher und Peshtemals, welche dort vertrieben werden, sind von Hand gewoben und werden in kleinen Ateliers, verstreut über die ganze Türkei hergestellt. Die Baumwolle, das Leinen, die Wolle und die Seide werden in der Türkei angebaut bzw. gezüchtet, unter zertifizierten biologischen Standards. Im Praktikum konnte ich in verschiedene Phasen des Entwicklungsprozesses eines textilen Produkts Einblick erhalten: vom Konzept über die Kollektionserstellung zum ersten Entwurf, in der Produktion und schlussendlich beim Verkauf.

Durch diese positiven Erfahrungen in meinem Ausland-Semester lag die Entscheidung nahe, diese Beziehungen weiter auszubauen. Deshalb habe ich mich entschieden, in meiner Bachelor-Arbeit eine Kollektion zu gestalten, welche einen Hauch Türkei in die Schweiz bringen soll. Konkret habe ich mich bei meiner praktischen Bachelorarbeit – Orient meets Occident – dafür entschieden, einem Alltagsprodukt ein neues Gesicht zu verleihen. Ich wollte ein Textil bespielen, das in unsere tägliche Routine eingebunden ist. Durch mein Praktikum in der Türkei konnte ich die dort etablierte Hamam-Kultur besser kennen und schätzen lernen. Ein Peshtemal oder Hamam-Tuch wird während des ganzen Aufenthaltes im Badeberreich um den Körper gewickelt getragen. In jedem Haushalt der Türkei sind Peshtemals zu finden; sie trocknen schneller als Frottierware, brauchen weniger Platz und sind leichter. Das Ziel meiner Kollektion ist es, das entschleunigende Ritual des Hamam in unsere Schweizer Badezimmer zu bringen. Um eine authentische Erfahrung gewährleisten zu können, greife ich auf qualitativ hochwertige Textilien zurück. Die Produkte welche ich für meine Kollektion verwendet habe stammen von der Firma, bei der ich mein Praktikum absolviert habe. Seit einigen Jahren liegen diese unifarbenen, weissen Hamam-Tücher im Lager oder sind „Ladenhüter“.

Bei den Designs für die Hamam-Tücher beziehe ich mich auf eine Quelle aus meiner Heimat, der Schweiz. Im Glarnerland wurden von 1828 bis in die 1980er Textilien bedruckt, vornehmlich Tücher, unter anderem auch die sogenannten Yazmaz, welche als Exportprodukt aus der Schweiz in das Ottomanische Reich geliefert wurden. Yazmas sind Tücher, welche vor allem von muslimischen Frauen und auch Männern benutzt wurden bzw. werden, um ihren Kopf zu verdecken. Die Firma Blumer in Schwanden druckte also während rund 150 Jahren Tücher und Stoffe mit vielfarbigen, faszinierenden Mustern, welche in die ganze Welt exportiert wurden. Die italienischen Stützpunkte von Glarner Firmen in Ancona und Triest öffneten den Blick auf Südosteuropa, dessen Bevölkerung von Rosen-Motiven fasziniert war und dessen islamischer Bevölkerungsteil Yazma-Muster mit arabischen Schriftzeichen verlangte. Die dafür gestalteten Motive sind, wie oben erwähnt, meist opulent und sehr farbenfroh. Die historischen Glarner Yazmas waren Inspiration für meine zeitgemässen Dessins, die ich für die Hamam-Tücher entwickelte. Die opulenten Musterungen sollten zurückgenommen und in zeitlos neutrale, doch spannungsgeladene, zeitgemässe Entwürfe überführt werden. Dieses Ziel versuchte ich zu erreichen, indem ich meine Kollektion farblich total reduziert habe, so dass die Kollektion Orient meets Occident in Schwarzweiss umgesetzt wurde.

Die Entscheidungen für die Dessins, die Produktion, die Wahl des Materials unter Einbezug der Zielgruppe und die Entscheidung, Farbe so reduziert einzusetzen und damit die Philosophie hinter der Kollektion visuell zu stützen, konnte ich dank meinem Praktikum in der Türkei bewusster und entschiedener fällen. Ich bin überzeugt, dass mir die Erfahrung, in einem anderen Umfeld zu leben, zu lernen und arbeiten zu können geholfen hat, meinen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu erweitern. Gleichzeitig wurde auch das Gefühl für Heimat bestärkt. Die Schweiz ist ein kleines Land in einer grossen Welt. Die Wissbegierde und Offenheit machte unser Land zu dem, was es heute ist. Als innovativer Designer ist es entscheidend, neugierig und offen zu sein und Grenzen zu überschreiten, um Neues zu schaffen.

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