Ein unerwartet langes Leben

Kunststoffe und Mikroplastik in Böden und Gewässern sind ein grosses Problem: Sie bleiben jahrhundertelang dort und die Mikroteilchen gelangen auch in den menschlichen Organismus. Der gezielte Ersatz von Kunststoffen durch biologisch abbaubare Materialien wäre ein Lösungsbeitrag.

 

Autorin: Sibylle Veigl

 

Wirft man ein Kompostsäckli in den Zürichsee, so schwimmt dieses auch nach sechs Wochen noch im Wasser. Obwohl es als biologisch abbaubar bezeichnet ist. Das hatte ein Team am Institut für Chemie und Biotechnologie (ICBT) vor einigen Jahren festgestellt, als es die Abbaubarkeit von als kompostierbar bezeichneten Beuteln unterschiedlicher Hersteller untersuchte.

Exemplarisch zeigte sich bei diesen Tests: Es ist kompliziert mit der biologischen Abbaubarkeit. Denn es kommt darauf an: Wo soll es abbaubar sein? Wie lange soll es dauern? Und zersetzt es sich wirklich vollständig?

Im Labor hatte sich ein normales Kompostsäckli in einer Umgebung, die einer industriellen Kompostieranlage nachempfunden war, bei einer Temperatur von 58 Grad nach sechs Wochen zu 44 Prozent zersetzt. In Bedingungen ähnlich einem Heimkompost, der auf 25 Grad angelegt war, aber praktisch gar nicht, und im Wasser lag der Abbau nach sechs Wochen bei 12 Prozent. «Es ist schon erstaunlich, dass die Abbaubarkeit im Industriekompost nach dieser Zeit so niedrig war», sagt Ragini Hüsch, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am ICBT an diesen Tests beteiligt war. Problematisch sei dies aber nicht, denn der Abbau müsse gemäss gängigen Normen im Test der industriellen Kompostierbarkeit erst nach sechs Monaten abgeschlossen sein.

Neue Studie zur Abbaufähigkeit

Mit Fragen der biologischen Abbaubarkeit befassen sich die Institute für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR) sowie das ICBT auch aktuell: In einer Studie, die gegen Ende 2025 publiziert wird, werden mittels Literaturrecherche verschiedene biologisch abbaubare Werkstoffe (BAW) auf Materialeigenschaften, Abbaufähigkeit und ihre Auswirkungen auf die Umwelt untersucht, der Ist-Zustand in der Schweiz wird erhoben und die Analytik von BAW in organischen Proben vorangetrieben. Das soll eine Entscheidungsgrundlage für Entwicklung und Einsatz von BAW liefern.

Denn biologisch abbaubare Werkstoffe sollen zur Lösung eines gewichtigen Problems beitragen: Jedes Jahr gelangen in der Schweiz rund 14 000 Tonnen Plastik in die Böden und in die Gewässer, wo es teilweise zu Mikroplastik zerfällt, wie das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schätzt. Der grösste Emittent für Mikroplastik in der Schweiz ist der Reifenabrieb im Autoverkehr. Doch auch Landwirtschaft und Bauwirtschaft verursachen Plastikverschmutzung, beispielsweise von Mulchfolien oder Rohrleitungen. Und auch scheinbar nebensächliche Emissionen wie eine Plastiketikette auf einer Gurke im Offenverkauf oder ein Teebeutel mit Plastikanteilen fallen in der Summe ins Gewicht, wenn sie im Grüngut landen. Denn der daraus hergestellte Kompost oder der Gärrest der Biogasanlage gelangt als Dünger wieder in die Böden.

Auch ein Produkt, das aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt ist, ist nicht automatisch biologisch abbaubar.

Amanda Gächter, wissenschaftliche Assistentin am Institut für Chemie und Biotechnologie


Biologisch heisst nicht biologisch abbaubar

Biologisch abbaubar ist ein Material per Definition dann, wenn es durch natürlich vorkommende Mikroorganismen zersetzt und in Wasser, Kohlenstoffdioxid und Biomasse umgewandelt wird. Amanda Gächter, wissenschaftliche Assistentin am ICBT, gibt zu bedenken: «Auch ein Produkt, das aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt ist, ist nicht automatisch biologisch abbaubar.» Der Begriff biologisch abbaubar beziehe sich immer auf eine geprüfte Testumgebung. Ob sich ein Produkt unter unkontrollierten Bedingungen wie im Hauskompost, Boden oder in Gewässern abbaut, bleibe eine andere Frage.

Ein Beispiel ist der Stoff PLA: Polylactid oder Polymilchsäure ist ein Kunststoff auf Basis von fermentierter Maisstärke oder Zuckerrohr und gilt als biologisch abbaubar. Verwendet wird er zum Beispiel für Einweggeschirr, aber auch für Mulchfolien. Doch ist er es wirklich immer und überall? Nein, so Gächter: «PLA zersetzt sich nur bei industrieller Kompostierung über lange Zeiträume und unter hohen Temperaturen oder in Biogasanlagen. In der Natur zersetzt es sich nicht und kann stattdessen zu Mikroplastik werden.»

Es braucht bessere Kommunikation, verständliche Kennzeichnungen und realistische Prüfkriterien für biologisch abbaubare Materialien.

Gabriel Gerner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut fĂĽr Umwelt und NatĂĽrliche Ressourcen

 

Das sei wichtig zu verstehen, damit niemand fälschlicherweise annehme, diese Produkte könnten in der Natur entsorgt werden, so Gächter. «Konsumentinnen und Konsumenten müssen ja eigentlich nur verstehen, wie sie das jeweilige Produkt richtig entsorgen», ergänzt Gabriel Gerner, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am IUNR mit im Projektteam ist. Das heisst, sie müssen die Labels der Abbaubarkeit auf den Verpackungen erkennen und interpretieren können und verstehen, dass es verschiedene Formen der Abbaubarkeit gibt, abhängig davon, wo man den BAW entsorgt.

Kommunikation und verständliche Kennzeichnungen

Was zum Problem der Erkennbarkeit führt. So sind einige der in der Schweiz erhältlichen biologisch abbaubaren Grüngutsäckli mit einem grün-weissen Netzmuster gekennzeichnet. Diese Branchenlösung ist für die Grüngutverwerter ein wichtiges Erkennungsmerkmal. Denn in der Kompostieranlage werden alle Teile, die nach Plastik aussehen, grösstenteils von Hand aussortiert. Es fehlt die Zeit zu prüfen, ob ein Säckchen nun biologisch abbaubar ist oder nicht. Der grün-weisse Gitterdruck ist aber für das Personal leicht erkennbar.

Nur: Bei Konsumentinnen und Konsumenten ist diese Markierung kaum bekannt, und die wenigsten werden im Einkauf gezielt danach suchen. Ein solches Muster könne also das Grundproblem nicht lösen, sagt Gerner: «Es braucht bessere Kommunikation, aber auch verständliche Kennzeichnungen und realistische Prüfkriterien für biologisch abbaubare Materialien.» Mit Abbautests leistet die Forschungsgruppe am ICBT einen aktiven Beitrag zur Bewertung und gezielten Weiterentwicklung neuer Produkte.

Traubentrester als Biorohstoff

Bei der Herstellung von Wein fallen grossen Mengen an Traubentrester an. Solche Rückstände aus Häuten, Kernen und Stängeln gelangen heute oft als Abfall in die Biogasanlage. Traubentrester sind aber Rohstoffe, die besser verwendet werden können. In der im Frühjahr 2025 abgeschlossenen Machbarkeitsstudie «Entwicklung biologisch abbaubarer Materialien aus Weintrester zur Reduktion von Plastikmüll in der Landwirtschaft» wurde geprüft, wie dieser Biorohstoff weiterverarbeitet werden kann. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit der Forschungsgruppen Lebensmittelverpackung sowie Umweltbiotechnologie und Bioenergie am Departement Life Sciences und Facility Management und wird von der Müller-Thurgau-Stiftung gefördert.

Jährlich fielen in der Schweiz gut 10 000 Tonnen Traubentrester als Trockensubstanz an, sagt Projektleiter Selçuk Yildirim. In der Studie wurde nun untersucht, wie getrockneter und gemahlener Trester in andere Biokunststoffe eingearbeitet und zu Spritzgussprodukten oder Folien verarbeitet werden kann. Es wurde festgestellt, dass mindestens die Hälfte des Materials aus Trester stammen kann, um den Anforderungen an Folien oder Spritzguss zu genügen. In der Kombination mit Kartoffelschalen oder Raps sind sogar Anteile bis 70 Prozent realisierbar.

Eine weitere Nachforschung widmete sich der Abbaufähigkeit dieses Materials. Diese wurde als industrielle Kompostierbarkeit bei einer Temperatur von 58 Grad im Labor während vier Monaten untersucht. Das Ergebnis: Die Folien mit 50 Prozent Traubentrester wurden zu 88 Prozent abgebaut, Vergleichsmaterialien ohne Traubentrester zu 100 Prozent. Dies ist vermutlich auf den Ligningehalt von Traubentrester zurückzuführen. Lignin ist biologisch schwer abbaubar, es bleibt als verholzter Teil der Pflanze im Boden.

Die Ergebnisse sollen vor allem einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Herausforderungen gebe es aber einige, sagt Yildirim. Nicht nur sind solche Biokunststoffe teuer im Vergleich zu herkömmlichem Plastik. Der Trester selbst muss beispielsweise getrocknet werden, was energieaufwendig ist, und für die Herstellung von Folien muss der Tresterstaub extrem fein sein, was nur wenige Mühlen können. Zudem seien diese Materialen auch starrer und brüchiger.

Headerbild: Adobestock/Seegraphie

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