Das Korn und der virtuelle Vertriebskanal

Davide Wouda
Student Bildende Kunst FHNW
  • 23.01.2019
  • 6 min
Die dargestellte Situation ist Orts und Zeit gebunden. Das ist eine Fotoaufnahme vom 6.September 2018. Ich befinde mich in meinem Atelier, vor einem meiner abstrakten Bilder, mit einem Stift in der Hand. Dieser eingefrorene Moment, was für mich die Fotografie ausmacht, wurde mit Absicht inszeniert. Ich behandle darin einen für mich wichtigen Teil der Entstehung und Vollendung eines Werkes, der Repräsentation der kunstschaffenden Person und ihrer Objektivierung sowie den Einfluss von sozialen Plattformen als Vertriebskanäle.

Die Bildlesungen und -erläuterungen

Die Lesung kann, wie ein Zeitstrahl, linear von links nach rechts erfolgen. Im Bild gibt es eine Fluchtlinie wo sich Decke, Rück- und Seitenwände berühren. Mein Körper ist ebenfalls nach dieser Linie ausgerichtet.

Zusätzlich gibt es drei räumliche Unterteilungen.

Der hintere Teil mit der Rückwand und den kleineren Bildern. Die Zwischenebene mit der Staffelei und Leinwand und der vordere Teil mit mir. Die Rückwand kann als Architektur, ergo als Raum verstanden werden. Die Leinwände und Bilder als auch die Staffelei und die Schablonen können als Objekte betrachtet werden. Meine körperliche Präsenz steht für das Subjekt. Der Faktor Zeit wird durch meine Präsenz und den geschaffenen Objekten repräsentiert.

Mir ist an dieser Stelle bewusst, dass die philosophische Auffassung von architektonischem Raum auch als zeitlich verstanden und empfunden werden muss. Somit ist das Einfangen der Fotografie und deren analoge und virtuelle Reproduktion eine Wiedergabe der Zeit. Die Zeit wird in diesem Kontext als Resultat menschlicher Beobachtung verwendet. Das daraus resultierende Konzept, ergibt ein messbares Instrument.

Eine weitere Interpretation erfolgt durch die Unterteilung des Bildes in drei vertikale Ebenen.

Oben angefangen, ergeben die Decke, die Rück- und Seitenwand, ein Teil eines silbernen Rahmens, zwei Bilder sowie der hohe weisse Farbanteil im Bild eine Ebene.

Verschieden industriell angerfertigte Schablonen, die grösste Leinwand im Bild und mein Oberkörper bilden den mittleren Teil.

Im unteren Teil sind zwei Bilder angeordnet und mein Unterkörper ist mitsamt dem hölzernen Fußboden ersichtlich. Das Hauptgeschehen konzentriert sich im mittleren Bereich des Bildes. Selbstverständlich gibt es noch die horizontale Unterteilung, die sich jedoch erübrigt, da ich sie in dieser Bildbeschreibung als irrelevant erachte. Die oben erwähnten Bildanalysen bzw. Unterteilungen dienen als Gerüst für die weitere Kontextualisierung.

Der Inhalt der fünf ersichtlichen Bildern, lässt sich wie folgt erläutern;

Das sich oben rechts befindende Bild, zeigt einen Ausschnitt einer Leinwand. Diese ist figurativ und mit verschiedenen Medien bearbeitet (Sprayfarbe, Acryl, Öl und Marker). Es behandelt das Eintreten meiner Partnerin in mein Leben und entstand in den Jahren 2017 und 2018.

Das obere linke Bild, zeigt ebenfalls einen Ausschnitt eines Bildes. Die Stilrichtung orientiert sich stark an der Abstraktion und am Kubismus. Die dafür eingesetzten Mittel sind Acryl und Marker auf Kunststoff.

Die größte Leinwand zeigt ein abstraktes Bild mit konträr zur Abstraktion auch figurativen Teilen und Textfragmenten. Da benutzte ich bisher Sprayfarben, Acrylfarben, Ölfarben und Marker auf Leinwand. In diesem Bild stossen mehrere Interessen aufeinander. Einerseits meine Faszination für die Abstraktion, Farb- und Materialschichten sowie die Auseinandersetzung mit der Vollendung eines Werkes.

Somit ist die individuelle künstlerische Bildbetrachtung zu verstehen. Sie soll das einhergehende Gefühl auslösen, ein abgeschlossenes Werk zu betrachten, ohne weitere Veränderung vornehmen zu wollen. Ausserdem folgt es einem für mich wichtigen, zeitlosen Schaffensmodell. Das Anrühren der Farbe und dem Versuch sie jeweils ganz aufzubrauchen. Ich messe die Leinwandfläche nicht ab, um dann,  unter Berücksichtigung der jeweiligen Farbeigenschaften, die exakte Menge anzurühren. Dadurch entsteht oft „Restfarbe“, die ich auf separaten Leinwänden teils intuitiv, teils sehr reflektiert weiter- und wiederverwende. Zusätzlich behandelt das zentrale Bild bewusste und unbewusste Eindrücke, in dem ich beispielsweise im Radio vernommene Informationen durch Duktus, Farbverläufe und Formen eine stärkere Zuordnung gebe.

Das untere linke Bild, ist ebenfalls figurativ. Dafür wurden Collagentechnik, Sprayfarbe, Acryl und Marker auf einer dünnen Fichtenholzplatte verwendet. Es behandelt den Bund der Ehe und dessen Tiefe.

Auch das letzte Bild, rechts unten, wurde mit figurativen Elementen gestaltet. Es ist Gouache auf Papier. Es zeigt ein Gesicht, welches mein spätpubertierendes alter Ego darstellt, „Calimero“. Es beschäftigt sich hauptsächlich mit erlebten Eindrücken, neuen Begriffen und deren Verarbeitung.

Fazit

Mit der abgebildeten Fotografie, wollte ich einen wichtigen Moment meiner bisherigen Eindrücke einfangen. Dieses Foto entstand wenige Tage vor meinem Jurygespräch der Diplomarbeit. In diesem Bild hinterfrage ich die repräsentative Rolle der kunstschaffenden Person in sozialen Medien der heutigen Zeit.

Im Bilde stehe ich, die Person und nicht das Werk, im Vordergrund. Eine Kohärenz des Werkes geht oftmals über das Werk hinaus und setzt subjektive Authentizität voraus. Somit unterstützt die Person das exponierte Werk und unterstreicht es doppelt, sodass die Summe als gesellschaftlich kompatibel gilt und auf Toleranz trifft. Um auf die gesellschaftlich kommerziellen Kunstakteure Bezug zu nehmen, wie beispielweise dilettantische Kunstsammler, ein Beispiel;

In bestimmten, nicht zwingend Kultur affinen Schichten, vernahm man bereits den Satz; „Ich besitze einen Richter, oder ich besitze eine Lassnig! (Maria Lassnig, Künstlerin des 20. & 21. Jahrhunderts)“. Folglich steht nicht immer das Werk und die inhaltliche Behandlung im Vordergrund eines Gespräches sondern das Prahlen. Die Pointe also ist der Besitz.

Mir wurde bei Arbeitspräsentationen während meines Studiums oft nachgesagt, dass die Präsentationen bereits Ausdruck meiner künstlerischen Praxis seien und keine produzierten Objekte selbst.

Ich wollte selten wahrhaben oder einsehen, dass meine Präsenz und die Präsentation an sich, das von mir ausgestellte Exponat unterstützten beziehungsweise ergänzten.

Wie Anfangs beschrieben, geht es um Zeit. Es geht um die Beziehung und Verschmelzung von Subjekt und Objekt respektive der Objektivierung des Subjekts als Konsumgut und dessen Besitztum. In einer Zeit in der unsere Gesellschaft Informationen als Kapital verwendet und Storys, Feeds und Berichterstattung den Lebensstil ins Zentrum der Beachtung rücken, habe ich mich dafür entschieden, die Situation in meinem Atelier zu inszenieren.

Der Versuch mich als objektiviertes Subjekt zu vermarkten wiederspricht der eigentlichen Nutzung des Ateliers. Denn das Atelier ist ein Ort indem ich eigentlich frei von all diesen Mechanismen und Zwängen arbeite und ich mich selber sein kann.

Doch was passiert, wenn auch an diesen genuinen Orten der neue, aktuelle und trügerische Schein des eigenen Seins Platz einnimmt und mich zu gespielten Situationen verleitet?

Dieser Frage wollte ich nachgehen und ich möchte sie für die betrachtenden und lesenden Personen offen lassen.

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