VOM HABEN ZUM SEIN: Ein Ende der Gewalt gegen unseren Planeten?

Tobias Michael Schmid
Student | ZHAW
  • 16.09.2020
  • 4 min
Gewalt gegen sich selbst – bis hin zum Suizid – kann aus einer Krise und aus Stress heraus entstehen. Zu deren Vorbeugung wurde ursprünglich an der ZHAW das Achtsamkeit@Toni-Programm entwickelt. Es umfasst Anleitungen zu Achtsamkeitsübungen mit dem Ziel, krisenhaften oder stressigen Zeiten gelassener begegnen zu können. Das Programm weitete seinen Fokus schnell auf das globale Wohlbefinden und Fragen der achtsamen Lebensführung aus. In jedem Semester leiten wissenschaftliche Vorträge das Programm ein. Diesmal wurde die Frage behandelt, wie und ob achtsamkeitsbasierte Verfahren einen Beitrag zu mehr nachhaltigem Verhalten innerhalb der Klimakrise leisten können.

Gesetzt den Fall, die Um- und Mitweltzerstörung ist menschengemacht, entsteht die Frage, wieso wir nicht damit aufhören. Wieso halten wir an einem Verhalten fest, das schädlich ist für den Planeten, auf dem wir leben, und so auch für uns? Wieso benötigen wir so viele Ressourcen und betreiben einen gewaltsamen Raubbau an der gesamten Mit- und Umwelt?

 

Kurzfristiges VergnĂĽgen - langfristiger Schaden

Eine verhaltensanalytische Erklärung dazu kann die Skinnersche Ratte liefern: Verhalten, das unmittelbar positiv wirkt, wird verstärkt gezeigt – meist unabhängig von den langfristigen Konsequenzen, auch wenn diese negativ sind. Die kurzfristigen Konsequenzen sind stärker verhaltensaktivierend. Dies sieht man auch bei Personen, die rauchen. Die wohltuende Wirkung der Zigarette verstärkt das Rauchen noch. Auch wenn die langfristig gesundheitsschädlichen Konsequenzen bei höherer Schulbildung bekannt sind. Ähnlich verhält es sich mit dem übermässigen Shoppen, dem SUV, dem Fliegen, dem täglichen Coffee- oder Salad-to-go im Plastikbecher. Kurzfristig bereitet uns dies alles Freude, wirkt als Verstärkung, und wir wollen positive Gefühle haben. Langfristig generieren wir damit viele Probleme und fügen uns und dem Planeten Gewalt zu, ohne uns – in dem Moment, in dem wir das Verhalten zeigen – dessen wirklich bewusst zu sein. Und auch wenn wir um die negativen Folgen unserer Entscheidungen wissen sollten, ändern wir unser Verhalten kaum.

 

Langfristige positive Erlebnisse dank Werten

Erst wenn wir ein neues Verhalten als möglich betrachten, uns in der Situation daran erinnern und es gegenüber anderen Verhaltensweisen bevorzugen, zeigen wir das neue Verhalten – und dafür helfen uns unsere Werte. Ein Leben, geführt nach den eigenen Werten, zeigt wenig unmittelbare, dafür umso mehr langfristige positive Konsequenzen. Ein Beispiel: Das tolle Gefühl eines Marathonzieleinlaufs ist nicht bei jedem Trainingslauf zu erwarten, sondern ein Produkt der Inkaufnahme vieler negativer Gefühle und Trainingsunlust. Und wir können uns immer wieder aufs Neue entscheiden, nach unseren Werten zu handeln, und dafür auch unangenehme Gefühle in Kauf nehmen.

 

Der «Shift» hin zu mehr Nachhaltigkeit kann insbesondere dann geschehen, wenn diese Werte nicht materieller, sondern immaterieller Natur sind. Werte wie Freundlichkeit, Verbundenheit, Mitgefühl benötigen keinerlei materielle – oder planetarische – Ressourcen. Dieser Wechsel von materiellen zu postmateriellen Werten könnte durch achtsamkeitsbasierte Verfahren begleitet und unterstützt werden. Ein Verfahren, das auf die Bewusstmachung und das Handeln nach den eigenen Werten fokussiert, ist die Acceptance and Commitment Therapy. In einer Orientierung an immateriellen Werten könnten wir ausbrechen aus dem mehr oder minder gewalttätigen Verhaltenskreislauf gegenüber der Gesellschaft und dem Planeten, in den wir durch unsere stark materielle Werteorientierung hineingeraten sind. Mit den Worten Erich Fromms: Wir kämen so von einer Haben- zu einer Seinsorientierung. Durch eine Bewusstheit unserer eigenen Werte hören wir auf, uns verzweifelt an positiven Gefühlen festzuhalten oder diese auf wenig nachhaltige Weise dauernd verfügbar machen zu wollen.

 

Ob die vielen von der Psychologie zur Verfügung gestellten Mittel und insbesondere achtsamkeits- und werteorientierte Verfahren einen Beitrag zum Ende der Gewalt an unserer Um- und Mitwelt leisten können, wird sich in Zukunft zeigen. Wege dazu existieren.

 

«Dieser Beitrag erschien als Erstpublikation im Punktum»

Kommentare