Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit

Gesundheitsförderung Schweiz
im Rahmen der Kampagne «Unser Nachwuchs»
  • 24.09.2021
  • 8 min
Auf der Basis verschiedener repräsentativer Erhebungen wie bspw. der «Schweizerischen Gesundheitsbefragung» und dem Monitoring zum «Job-Stress-Index» konnten wir feststellen, dass junge Erwerbstätige (16-24 Jahre) körperlich generell gesünder, hingegen bei der psychischen Gesundheit fragiler sind. Erschöpfung, Depressivität und in der Folge eine höhere Selbstmordgefährdung sind bei dieser Altersgruppe stärker verbreitet als bei älteren. Die Datenanalysen zeigen zusätzlich, dass junge Erwerbstätige bei den gesundheitsrelevanten Persönlichkeitsfaktoren im Vergleich zu anderen Altersgruppen über weniger Ressourcen wie bspw. Coping-Fähigkeiten und Selbstwirksamkeit verfügen.

Junge Erwerbstätige nehmen grundsätzlich ihren eigenen Gesundheitszustand im Vergleich zu anderen Altersgruppen häufiger als gut oder sehr gut wahr. Wird nach einzelnen Gesundheitsindikatoren gefragt, bestätigt sich diese positive generelle Tendenz im Einzelnen vorwiegend bei der körperlichen Gesundheit. So haben junge Erwerbstätige beispielsweise weniger chronische Erkrankungen, seltener einen hohen Blutdruck und weisen einen tieferen BMI auf. Bei der psychischen Gesundheit sind die jüngeren Altersgruppen hingegen im Durchschnitt stärker belastet (z.B. mit Erschöpfung oder Depressivität) und auch suizidale Gedanken, Ideen und Gefühle sind bei jungen Erwerbstätigen stärker verbreitet als bei älteren. Im Vergleich zu anderen Altersgruppen verfügen junge Erwerbstätige auch über weniger persönliche Ressourcen wie Selbstwirksamkeitserwartung und Coping-Fähigkeiten, welche zur Stressbewältigung und für die psychische Gesundheit besonders relevant sind.

 

Grundsätzlich messen junge Erwerbstätige der Gesundheit durchschnittlich weniger Bedeutung zu als ältere. Was das Gesundheitsverhalten bezüglich Ernährung, Bewegung und Suchtmittelkonsum betrifft, spiegelt sich in den Daten das lebensphasenspezifische «An-die-Grenze-Gehen» wider: Junge Erwerbstätige üben häufiger intensive körperliche und risikoreiche Freizeitaktivitäten aus und konsumieren häufiger Drogen. Auch beim Rauschtrinken und der problematischen Internetnutzung lassen sich dieselben Altersgruppeneffekte beobachten. Was Ressourcen und Belastungen im Privatleben anbelangt, zeigen die Analysen, dass junge Erwerbstätige in höherem Masse als andere Altersgruppen durch ein soziales Netzwerk gestützt sind. Belastungen im Privatleben, etwa durch Haushalts-, Kinderbetreuungs- und anderweitige Pflichten, sind bei ihnen deutlich weniger vorhanden als bei anderen Altersgruppen.

 

Arbeitsbezogene Ressourcen und Belastungen 

Junge Erwerbstätige fühlen sich körperlich zwar fitter als andere Altersgruppen, berichten aber von höheren körperlichen Belastungen im Berufsalltag (z.B. Tragen schwerer Lasten, häufigeres Passivrauchen). Die Ergebnisse zu psychischen Anforderungen zeigen, dass junge Erwerbstätige hingegen weniger von Zeitdruck, Multitasking und Arbeitsunterbrechungen betroffen sind als ältere Kolleginnen und Kollegen. Allerdings fühlen sie sich häufiger inhaltlich überfordert und erachten Anordnungen oder Aufgaben öfter als widersprüchlich. Was aufgabenbezogene Ressourcen betrifft, haben junge Erwerbstätige zwar mehr Gelegenheit, bei der Arbeit Neues zu lernen, aber auch weniger Handlungsspielraum und Mitbestimmung bezüglich der Art und Weise, wie sie ihre Aufgaben erledigen und wie sie sich dabei zeitlich organisieren. Zudem haben sie im Vergleich zu anderen Altersgruppen deutlich öfter das Gefühl, ihre Fähigkeiten nicht voll einsetzen zu können. 

 

Die Datenanalysen zeigen weiter, dass sich junge Erwerbstätige insgesamt besser durch ihre Vorgesetzten und im Team unterstützt fühlen als ältere. Am stärksten ist dieser Effekt bei der sozialen Unterstützung durch Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen. Soziale Unterstützung ist demnach eine der zentralen Ressourcen von jungen Erwerbstätigen. In Bezug auf faire Behandlung und Wertschätzung am Arbeitsplatz zeigen die Daten kaum altersspezifische Unterschiede. Während junge Erwerbstätige weniger von Belastungen im Privatleben betroffen sind als andere Altersgruppen, scheinen sie gleichzeitig mehr Mühe mit der Abgrenzung zwischen den Lebensbereichen zu haben: Deutlich öfter als bei älteren Arbeitnehmenden führen private Probleme und Schwierigkeiten zu Konzentrationsstörungen oder Konflikten bei der Arbeit. Junge Erwerbstätige berichten auch häufiger als andere Altersgruppen, dass sie sich aufgrund beruflicher Pflichten zu Hause weniger entspannen oder ihren Hobbys nachgehen können. 

 

Der Job-Stress-Index (JSI) bildet das Verhältnis von verschiedenen Arbeitsbelastungen und Arbeitsressourcen insgesamt ab. Seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2014 sind junge Erwerbstätige von allen Altersgruppen am stärksten belastet, weisen also insgesamt den höchsten Job-Stress-Index und damit das schlechteste Verhältnis zwischen Belastungen und Ressourcen auf. Innerhalb der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen weist zwar die Mehrheit eine ausgewogene Balance von Belastungen und Ressourcen auf, rund 30 bis 40 Prozent sind allerdings so stark belastet, dass von negativen Folgen auf die Gesundheit und von gesundheitsbedingten Produktivitätsverlusten ausgegangen werden kann. 

 

Arbeitszufriedenheit, Engagement und betriebliche Folgen 

Junge Erwerbstätige sind im Vergleich zu anderen Altersgruppen ungebundener. Obwohl sie generell stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind, ist die Angst vor Jobverlust bei den 16- bis 24-Jährigen geringer als bei älteren Arbeitnehmenden. Bei einem allfälligen Stellenverlust schätzen junge Erwerbstätige ihre Möglichkeit, einen ähnlichen Job zu finden, deutlich höher ein. Die im Vergleich zu anderen Altersgruppen tiefere emotionale Unternehmensbindung dürfte nicht zuletzt Ausdruck der lebensphasenspezifischen Suche nach der beruflichen und persönlichen Identität sein. Ein weiterer Erklärungsansatz für die geringere emotionale Unternehmensbindung ist die im Vergleich zu anderen Altersgruppen niedrigere allgemeine Zufriedenheit mit der Arbeitssituation. Auch das Arbeitsengagement ist bei jungen Erwerbstätigen weniger hoch, das heisst, sie geben seltener an, ihre Arbeit inspiriere oder begeistere sie, oder dass sie glücklich seien, wenn sie intensiv arbeiten. 

 

Gesundheitliche Probleme sowie Belastungen in der Arbeitswelt und im Privatleben können zu vermehrten Absenzen führen, aber auch zu Präsentismus – einer Anwesenheit mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit. Für den Betrieb entstehen in beiden Fällen Produktivitätsverluste. Wie die analysierten Daten zeigen, weist die jüngste Altersgruppe die höchsten gesundheitsbedingten Produktivitätsverluste auf. Zudem sind bei jungen Erwerbstätigen nicht nur Berufsunfälle, sondern auch Unfälle im Freizeitbereich häufiger als bei anderen Altersgruppen. Für Betriebe hat bei der Ausbildung und Anstellung von jungen Erwerbstätigen deren Produktivität denn auch oft nicht oberste Priorität. Vielmehr steht eine längerfristige Investitionsperspektive der Förderung des Nachwuchses (im Betrieb, in der Branche, in der gesamten Volkswirtschaft) im Zentrum.

 

Drei zentrale Handlungsfelder 

Aus den Ergebnissen zum gesundheitlichen Befinden und den arbeitsbezogenen Ressourcen und Belastungen junger Erwerbstätiger lassen sich drei Handlungsfelder ableiten, die für die Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen und die Unterstützung der Gesundheit junger Menschen in der Lebensphase des Einstiegs ins Berufsleben zentral sind. Obschon die Handlungsfelder sich überlappen und Wechselwirkungen bestehen, beinhalten sie unterschiedliche Schwerpunkte und damit verbundene Handlungsmöglichkeiten. 

 

Das Handlungsfeld Bezugspersonen baut auf der zentralen Ressource der «sozialen Unterstützung» junger Erwerbstätiger auf. Damit Berufsbildungsverantwortliche ihre Unterstützung gut ausüben können, ist die gezielte Stärkung ihrer Rolle im Betrieb wichtig. Dabei sind sowohl Aus- und Weiterbildungen als auch die Bereitstellung angemessener Ressourcen und Wertschätzung für diese Funktion relevant. Ein weiterer Ansatzpunkt ist ein regelmässiger Informationsaustausch unter den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren (z.B. Rundtischgespräche mit den jungen Erwerbstätigen), damit sowohl Potenziale als auch allfällige Probleme der jungen Erwerbstätigen frühzeitig erkannt werden können. Die soziale Unterstützung und eine Einbettung in soziale Netzwerke sind essenzielle Ressourcen für junge Erwerbstätige, weshalb zudem die Förderung des Austauschs unter Peers, entweder innerhalb des Betriebs oder über Betriebe hinweg, empfohlen wird. 

 

Das zweite Handlungsfeld betrifft die Arbeits- und Aufgabengestaltung. Motivierende Aufträge mit klaren Zielsetzungen, aber auch genügend Gestaltungsspielraum, ermöglichen den jungen Erwerbstätigen zentrale Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit bei der Arbeit. Dabei erscheint eine Begleitung mit individueller Balance zwischen Unterstützung und Eigenverantwortung sowie Platz für Unsicherheiten, Fragen und Fehler wichtig. Bei jungen Erwerbstätigen besteht zudem eine starke Durchlässigkeit zwischen Arbeit und Privatleben, weshalb Betrieben die nötige Aufmerksamkeit für das Thema Life Domain Balance empfohlen wird. Schliesslich ist auch die Stärkung zu einem gesundheitsförderlichen Umgang mit den körperlichen Belastungen wichtig. 

 

Drittens wird das Handlungsfeld Psychologische Herausforderungen als dringlich erachtet. Bedarf besteht in präventiver Sensibilisierung und im Wissensaufbau zu Themen wie Stressbewältigung und psychische Gesundheit sowohl bei Lernenden als auch bei Berufsbildungsverantwortlichen. Den Betrieben wird zudem empfohlen, junge Erwerbstätige bei der Erarbeitung von Coping-Strategien und dem Aufbau von Kompetenzen zur Stressbewältigung und Emotionsregulation zu unterstützen. Zur Früherkennung von psychischen Erkrankungen ist schliesslich zentral, dass Betriebe mögliche Hinweise (z.B. Präsentismus, unkonzentriertes Arbeiten, Stress, Alkohol- oder Drogenkonsum) nicht nur wahrnehmen, sondern auch benennen. Über ein offenes und empathisches Ansprechen von Schwierigkeiten, eine klare Kommunikation der Erwartungen vonseiten des Betriebs sowie Unterstützung beim Organisieren von Hilfe (z.B. Sozialberatungsstelle, psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung) können Abwärtsspiralen idealerweise gestoppt und stärkende Massnahmen frühzeitig gestartet werden.

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